Yudhishthira sprach:
Beschreibe mir, oh Großvater, das Verhalten, womit ein König sein Volk gedeihen läßt und in der kommenden Welt die Bereiche der Glückseligkeit verdient.
Bhishma sprach:
Der König, oh Bharata, sollte tolerant sein, Opfer durchführen, Gelübde und Buße beachten und seiner Aufgabe gewidmet sein, die Untertanen zu beschützen. Indem er gerecht sein Volk beschützt, sollte er alle Rechtschaffenen durch persönlichen Respekt und Geschenke ehren. Denn wenn der König die Gerechtigkeit achtet, wird sie auch vom Volk geachtet. Was auch immer der König tut und liebt, das lieben auch seine Untertanen. Seinen Feinden sollte er stets wie der Tod mit erhobenem Herrscherstab in der Hand erscheinen, um sein Reich konsequent vor jeglichen Räubern zu beschützen. Damit verdient der König, oh Bharata, den vierten Teil der Verdienste, die seine Untertanen unter seinem Schutz gewinnen. Wahrlich, allein durch den Schutz seiner Untertanen erwirbt der König diesen vierten Teil der Verdienste, die sie durch Studium, Gaben, Opfer und Verehrung der Götter ansammeln. In gleicher Weise erwirbt der König aber auch den vierten Teil aller Sünden, die seine Untertanen aufgrund aller Qualen im Königreich begehen, die aus der Vernachlässigung der königlichen Schutzpflicht entstehen. Einige sagen sogar, daß der König die Hälfte oder auch das ganze Maß von jeder Sünde verdient, die daraus entsteht, wenn er als König grausam und unwahrhaft wird. Höre auch das Mittel, wodurch sich der König von solchen Sünden reinigen kann. Wenn der König daran scheitert, einem seiner Untertanen den Reichtum wiederzubeschaffen, der von Dieben gestohlen wurde, dann sollte er den Schaden aus seiner eigenen Schatzkammer begleichen, oder wenn es nicht ausreicht, mit dem Reichtum seiner Verwandten. Alle Kasten sollten den Wohlstand der Brahmanen beschützen, wie auch ihren Körper und ihr Leben. Wer Brahmanen verletzt, sollte aus dem Königreich verbannt werden. Alles ist beschützt, wenn der Wohlstand der Brahmanen beschützt ist. Denn durch die Gnade des Brahmanen, der so gesichert ist, wird der König mit Erfolg gekrönt. Die Menschen suchen den Schutz eines fähigen Königs, wie die Lebewesen die Wohltat der Wolken oder die Vögel die Zuflucht eines großen Baumes. Ein grausamer und gieriger König mit lüsterner Seele, der nur die Befriedigung seiner Begierden sucht, wird es niemals schaffen, seine Untertanen zu beschützen.
Yudhishthira sprach:
Das ist wahr. Ich begehrte niemals, nicht einmal für einen Moment das Glück um meinetwillen, das die Herrschaft gibt oder die Herrschaft selbst. Ich wünschte es jedoch wegen der Verdienste, die man damit erwerben kann. Doch dann schien es mir, daß keinerlei Verdienst damit verbunden war. So hatte ich auch kein Bedürfnis mehr nach der Herrschaft, wenn sie ohne Verdienst ist. Ich wollte mich deshalb in die Wälder mit dem Wunsch zurückziehen, dort Verdienst zu sammeln. Den Herrscherstab niederlegend und meine Sinne zügelnd, wollte ich in die heiligen Wälder gehen und mich dort bemühen, das Verdienst der Gerechtigkeit als Asket zu erwerben, der von Früchten und Wurzeln lebt.
Bhishma sprach:
Oh Yudhishthira, ich weiß, was in deinem Herzens ist und kenne deine friedvolle Gesinnung. Du wirst allerdings nicht allein durch Friedlichkeit dein Königreich erfolgreich beherrschen können. Dein Herz ist weich, du bist mitfühlend, äußerst gerecht, gewaltlos, tugendhaft und voller Gnade. Doch allein dafür werden dich die Leute als König nicht allzusehr achten. Folge dem Verhalten deines Vaters und Großvaters! Könige sollten nicht so weich sein, wie du es gern möchtest. Überwinde diese Angst (vor der Erfüllung deiner Aufgaben) und lege diese Weichheit in deinem Verhalten ab. Denn damit wirst du es niemals schaffen, jenes hohe Verdienst der Gerechtigkeit zu gewinnen, das aus dem Schutz der Untertanen entsteht. Das Verhalten, zu dem dich deine eigenen Ansichten und Weisheiten treiben, steht nicht mit jenem Segen im Einklang, den dein Vater Pandu oder deine Mutter Kunti für dich zu erbitten pflegten. Dein Vater bat stets um Mut, Kraft und Wahrhaftigkeit für dich, und deine Mutter um Edelmut und Großzügigkeit. Die Opfer mit Swaha und Swadha werden durch die Götter und Ahnen stets von den Kindern erwartet. Ob dir nun die Hingabe, das Studium, die Opfer und der Schutz der Untertanen gefällt oder nicht, du bist dafür geboren, diese Aufgaben zu erfüllen. Der Ruhm eines Menschen, oh Kunti Sohn, bleibt ungetrübt, solange er nicht scheitert, die Lasten zu tragen, die ihm auferlegt wurden und die jedes Wesen vor den Wagen des Lebens spannen. Sogar ein Pferd, wenn es richtig erzogen wurde, kann seine Lasten tragen ohne sie abzuwerfen. (Was soll man da über einen Menschen sagen?) Solange die Taten und Worte diesen Aufgaben entsprechen, sammelt man keine Kritik (bzw. Sünde) an. Denn jeder Erfolg, so sagt man, hängt von den richtigen Handlungen ab. Doch kein Mensch, sei er ein tugendhafter Hausvater, ein König oder ein Brahmacharin, hat es jemals geschafft, ohne zu stolpern (ohne Fehler) durch das Leben zu gehen. So ist es besser, tugendhafte Handlungen durchzuführen, selbst wenn der Verdienst nicht sicher scheint, als auf alle Taten völlig zu verzichten, weil das Nichterfüllen der gegebenen Aufgaben sündig ist. Wenn die hochgesinnten und rechtschaffenen Leute im Land Wohlstand gewinnen können, dann ist der König in all seinen Angelegenheiten erfolgreich. So sollte sich ein tugendhafter König, der ein Königreich gewonnen hat, stets um die Herrschaft bemühen, manchmal durch Geschenke und freundliche Worte, wenn nötig aber auch mit Gewalt. Denn es gibt keinen tugendhafteren König als den, auf den sich die Rechtschaffenen, Edlen und Gelehrten im Reich bezüglich ihres Lebensunterhaltes verlassen können, und unter dessen Herrschaft sie zufrieden leben.
Yudhishthira sprach:
Welche Taten, oh Herr, führen zum Himmel? Was ist das Wesen der großen Glückseligkeit, die der Himmel gewähren kann? Und was ist der hohe Erfolg, den man damit erreicht? Sage mir bitte, was du darüber weißt.
Bhishma sprach:
Der Mensch, der einer angstgequälten Person Erleichterung verschafft, sei es auch nur für kurze Zeit, der ist unter uns im Himmel am würdigsten. Damit offenbare ich dir eine tiefe Wahrheit (über das Wesen des Himmels). So werde mit Freude zum König der Kurus, oh Erster der Menschen! Erwirb den Himmel, beschütze die Guten und strafe die Übeltäter! Laß deine Freunde zusammen mit allen ehrlichen Menschen ihren Lebensunterhalt durch dich (als König) erhalten, wie alle Wesen vom Gott der Wolken und die Vögel von einem großen Baum mit köstlichen Früchten. Denn diese Menschen suchen den Schutz einer Person, die herausragend, mutig, kraftvoll, mitfühlend, selbstkontrolliert, liebevoll zu allen, wahrhaftig und gerecht ist.