Doch Bhima sprach zu Hidimba: „Rakshasas pflegen sich an ihren Feinden zu rächen, indem sie verlockende Täuschungen benutzen, welche kaum durchschaut werden können. So geh du auch den Weg, Hidimba, den dein Bruder ging.“ Doch Yudhishthira hielt seinen wütenden Bruder mit den Worten zurück: „Oh Bhima, du Tiger unter den Männern, töte niemals eine Frau, egal wie wütend du bist. Oh Pandava, das Befolgen der Tugend ist eine viel höhere Pflicht als der Schutz des Lebens. Der Rakshasa, welcher mit der Absicht zu uns kam, uns zu töten, wurde bereits von dir erschlagen. Diese Frau ist nur seine Schwester. Was kann sie uns schon tun, selbst wenn sie ärgerlich wäre?“ Da wandte sich Hidimba mit ehrvollem Gruß an Kunti und ihren Sohn Yudhishthira und sprach mit gefalteten Händen: „Verehrte Dame, du kennst die Schmerzen, welche Frauen durch die Hand des Liebesgottes fühlen. Gesegnete Dame, diese durch Bhima verursachten Schmerzen peinigen mich. Bis jetzt ertrug ich diese gräßliche Qual und wartete meine Zeit ab. Doch nun hoffe ich auf glückliche Linderung. Ich trennte mich von meinen Freunden und Verwandten und den Gebräuchen meines Geschlechts, und erwählte deinen Sohn, diesen Tiger unter den Männern, zum Ehemann. Ich sage dir aufrichtig, oh ruhmreiche Dame, wenn mich der Held oder auch du verstößt, werde ich mein Leben nicht länger ertragen. So bitte ich um deine Gnade, du mit dem schönen Gesicht. Betrachte mich entweder als völlig töricht oder als deine hingegebene Sklavin. Oh ruhmreiche Dame, vereine mich mit deinem Sohn und meinem Ehemann. Gestatte, daß ich ihn mit der himmlischen Gestalt mit mir nehme und nach Belieben wandere. Vertrau mir, gesegnete Dame, denn ich werde ihn dir wiederbringen. Wenn du an mich denkst, werde ich sofort kommen und dich überall hinbringen, wie du es wünschst. Ich werde dich vor allen Gefahren erretten und über unwegsames Gelände tragen. Ich werde dich auf meinem Rücken tragen, wenn du wünschst, schnell zu reisen. Oh sei mir gnädig und mach, daß Bhima mich annimmt. Es wird gesagt, daß man in Zeiten der Not das Leben mit allen Mitteln beschützen soll. Wer dieser Pflicht nachkommen will, sollte keine Mittel scheuen. Aber wer in Zeiten der Not auch seine Tugend bewahrt, ist der Beste unter den Menschen. Ja, die Not ist die größte Gefahr für Tugend und tugendhafte Menschen. Doch gerade die Tugend beschützt das Leben, und wird daher der Lebensspender genannt. Und so können die Mittel, mit denen man seine Tugend sichert und damit seine Pflicht erfüllt, nie getadelt werden.“
Nun ergriff Yudhishthira das Wort: „Es ist genau so, Hidimba, wie du sagst. Darüber gibt es keinen Zweifel. Oh du Schlankhüftige, du solltest genauso handeln, wie du es versprochen hast. Bhima wird sich waschen, seine Gebete aufsagen, die üblichen Riten in der Dämmerung durchführen und dir dann seine Aufmerksamkeit widmen bis die Sonne untergeht. Vergnüge du dich mit ihm nach Blieben während des Tages. Doch jeden Abend sollst du, mit der Schnelligkeit des Geistes Gesegnete, Bhima zurückbringen.“ Auch Bhima sprach nun zu Hidimba: „Höre mich an, oh Rakshasa Frau. Aufrichtig willige ich in folgende Vereinbarung ein: Ich werde bei dir bleiben, oh du Schlankhüftige, bis du einen Sohn empfängst.“ Hidimba stimmte zu: „So sei es.“, hob Bhima auf und eilte mit ihm durch die Lüfte davon. Auf den Göttern heiligen Bergesgipfeln und in den malerischsten Gegenden mit vielen Tieren, welche von den Liedern der Vögel widerhallten, vergnügte sie sich mit Bhima. Sie trug die schönste Gestalt, war mit allen Ornamenten geschmückt und sang liebliche Melodien, um den Pandava glücklich zu machen. Sie brachte ihn in unerreichbare Gegenden des Waldes, zu blumenüberwachsenen Bergeshöhn oder an Teiche, die vor Lotusblüten und Lilien überflossen. Inseln im Fluß und ihre Kieselstrände, oder Bäche im Wald mit wunderschönen Böschungen waren ihre Heimat. Sie erfreuten sich an Gebirgsbächen mit kristallklarem Wasser, malerischen Hainen mit blühenden Bäumen und Kletterpflanzen, schattigen Plätzchen im Himalaya, vielen Höhlen, klaren Wasserbecken mit Lotusblumen, die zu lächeln schienen, Meeresufern mit Gold und Perlen und schönen Städten und auserlesenen Gärten. Sie vergnügten sich in den hügligen Gegenden und heiligen Wäldern der Guhyakas und Asketen und am Ufer des Manasa Sees, welches reich an Früchten und Blumen jeglicher Jahreszeit war. Nach einiger Zeit empfing sie und brachte einen mächtigen Sohn zur Welt. Er hatte schreckliche Augen, einen großen Mund, gerade, pfeilartige Ohren und war fürchterlich anzuschauen. Seine Lippen waren so braun wie Kupfer, die Zähne spitz und seine Stimme ein lautes Brüllen. Er hatte mächtige Arme, große Kraft und übermäßigen Heldenmut. Das Kind wurde ein gewaltiger Bogenkrieger. Er hatte eine lange Nase und breite Brust, schwellende Waden und bewegte sich sehr schnell. In seinem Gesicht war nichts menschliches, obwohl sein Vater ein Mensch war. Er übertraf (in Kraft und Heldenmut) alle Pisachas, Rakshasas und ähnliche Wesen. Und er wuchs als Neugeborener innerhalb einer Stunde zu einem Jüngling heran. Schon bald erreichte der mächtige Held großes Geschick in allen Waffenarten. Rakshasa Frauen gebären ihre Kinder am selben Tag, an dem sie sie empfangen. Und da sie in der Lage sind, ihre Gestalt zu ändern, tun sie dies auch ständig. Schon bald nach der Geburt verneigte sich das häßliche Kind vor Mutter und Vater und berührte deren Füße. Dann gaben sie ihm einen Namen. Seine Mutter meinte, daß sein Kopf einem Ghata (Wassertopf) ähnelte, und so verliehen sie ihm den Namen Ghatotkacha (der Topfhäuptige). Ghatotkacha war den Pandavas sehr zugetan, und auch er wurde ihr Liebling und beinahe einer von ihnen.
Doch Hidimba wußte, daß die Zeit mit ihrem Ehemann nun zu Ende ging. Sie grüßte die Pandavas, erneuerte ihr Versprechen und ging ihrer Wege. Auch Ghatotkacha versprach seinem Vater, daß er zur Stelle sein würde, wenn er ihn brauchte, grüßte alle und ging in nördliche Richtung davon. Tatsächlich war es der ruhmreiche Indra, welcher den mächtigen Wagenkrieger Ghatotkacha als geeigneten Gegenspieler für den unvergleichlich energiereichen Karna und sein Geschoß erschuf, welches Indra dem Karna noch übergeben wird.