Pushpak Aptavani 1Zurück WeiterNews

135. Illusion

Fragender: Was kann ich tun, um von der Bindung der Illusion befreit zu werden?

Dadaji: Illusion ist Unwissenheit. Die Unwissenheit über das reine Selbst ist die Illusion, die dich bindet und schlägt, ohne dass jemand die Wunden sehen kann. Da ist niemand über dir, der dich in dieser Welt unterdrückt. Nur durch die Illusion fühlst du dich unterdrückt. Was ist diese Illusion? Illusion ist die relative (bzw. weltlich vergängliche) Form von Gott. Was meinen sie, wenn die Leute sagen „Die Illusion bindet uns!“? Wer bewegt diese Welt? Nur weil die Leute nicht erkennen, wer diese Welt bewegt, sehen sie sich als persönlich Handelnde. Das ist ihre Illusion, und davon werden sie gebunden.

Gott ist der Einzige, der nicht von Illusion gebunden wird. Alle anderen werden von ihr geschlagen. Wer kann schon sagen, ob diese Schläge leicht oder schwer sind? Aber sicher ist, sie inspirieren dich, den Weg zur Befreiung zu suchen.

Die größte Illusion ist die Unwissenheit über dein wahres Selbst. Wenn diese Unwissenheit verschwindet, verschwindet auch die Illusion. Illusion ist, etwas zu sehen, was nicht da ist. In unserer Gegenwart (des Erleuchtungsgeistes) kann keine Illusion bestehen. Aber sobald du dich von uns entfernst, wird sie dich wieder umhüllen. Erst wenn du die Selbsterkenntnis von uns wahrhaft empfangen hast, wirst du von der Illusion unberührt bleiben, wohin du auch gehst.

Der Herr sprach, dass alles ein Drama ist (das wie ein Film abläuft). Ach Mensch, du solltest dich in dieses Drama nicht verstricken. Deine Gedanken verwirren dich. Dann beschuldigen die Leute den Geist, aber das eigentliche Problem ist die Illusion, die dich quält. Lass die Illusion verschwinden, und dein Geist wird wie ein endlos glücklicher Film! Viele haben schon auf alles Weltliche verzichtet und sind Asketen geworden. Aber haben sie damit ihre Illusion verloren? Nein, im Gegenteil, sie hat sich sogar verdoppelt. Wer kann behaupten, dass er wirklich alle Anhaftungen aufgegeben hat? Nur, wer auch inmitten des weltlichen Luxus von jeglicher Illusion frei ist. Was hat das Verlassen von Frau und Kindern mit der Befreiung von Illusion zu tun, solange man im Feuer der Unwissenheit brennt? Man klebt nur an seiner eigenen Einbildung fest. Wie könnte das die Befreiung von Illusion sein? Wohin du auch gehst, solange du die Vorstellung von ‚Mein‘ und ‚Dein‘ hegst und dein persönliches ‚Ich‘ existiert, so lange regieren Illusion und Anhaftung in dir.

Einmal kam ein Mann zu mir, weinte viel und sprach: „Das Leben ist so unerträglich hart! Ich würde mich am liebsten umbringen.“ Ich wusste, dass seine Ehefrau vor fünfzehn Tagen gestorben war und vier kleine Kinder zurückgelassen hatte. Da fragte ich ihn: „Mein Freund, wie lange wart ihr verheiratet?“ Und er antwortete mir: „Zehn Jahre.“ Darauf fragte ich: „Angenommen, sie wäre vor zehn Jahren gestorben, bevor du sie zum ersten Mal gesehen hast, hättest du ihren Tod auch so sehr beweint?“ Und er antwortete: „Nein, warum hätte ich sie beweinen sollen, ohne sie gekannt zu haben?“ Da sprach ich: „Dann will ich dir erklären, warum du jetzt um sie weinst. Als du sie geheiratet hast, gab es eine prachtvolle Hochzeit mit Musik und vielen Zeremonien. Und während der Umrundung des Feuers im Hochzeitsritus hast du begonnen, solche Gefühle aufzuwickeln, wie „Das ist jetzt meine Ehefrau! Sie gehört mir! Sie ist auf ewig mein!“ Und jedes Mal, wenn du sie angeschaut hast, hast du mehr davon aufgewickelt. Damit begann die Auf- und Verwicklung deiner persönlichen Anhaftung. Solange diese Beziehung zu deiner Ehefrau angenehm war, war es für dich eine Bindung mit schönen Seidenschnüren. Doch wenn diese Beziehung leidvoll wird, wandeln sich die aufgewickelten Bänder in raue Hanfseile. Nun, wenn du dich davon befreien möchtest, bleibt dir nichts anderes übrig, als diese aufgewickelten Bänder wieder abzuwickeln und dir zu sagen: „Sie ist gar nicht mein! Sie ist gar nicht mein...“ Und das musst du so oft wiederholen, wie du es andersherum auch aufgewickelt hast. Dann kann sich diese persönliche Bindung langsam wieder lösen, und du wirst frei davon sein.“

Er verstand es und begann, seine persönliche Anhaftung mit „Sie ist gar nicht mein!“ wieder abzuwickeln. Fünfzehn Tage später kam er erneut zu mir, verbeugte sich und sprach mit Tränen der Freude: „Dadaji, Sie haben mich gerettet! Sie haben mir den Weg gezeigt, diese egoistische Anhaftung aufzulösen. Nun bin ich frei von dieser großen Qual.“ Auch viele andere Leute, die diese Geschichte gehört haben, konnten sich damit von persönlicher Anhaftung befreien.

136. Zorn

Keine Person kann in der Welt den Zorn im Kampf besiegen. Der Zorn äußert sich in zwei Formen, die äußere Wut und der innere Ärger. Wenn die Leute vom Zorn überwältig werden, dann zeigt sich die Wut. Wer diesen Zorn nur äußerlich unterdrückt, dem vermehrt sich der innere Ärger. Und wer sogar glaubt, er hätte den Zorn besiegt, der vermehrt noch seinen egoistischen Stolz. Denn in Wahrheit kann niemand den Zorn vollkommen besiegen. Man mag die äußere Wut scheinbar beherrschen, aber der innerliche Zorn ist wie ein Feuer, das dich selbst und alle anderen ringsherum quält. Wenn du in ärgerlichen Situationen nicht zornig wirst, dann gilt das als gutes Verhalten, und damit wird sich dein weltliches Leben verbessern. Doch wahre Befreiung kannst du nur durch das reine Verhalten nach der Selbst-Verwirklichung erreichen.

Der Zorn ist eine höchst explosive Ansammlung. Er ist wie Schießpulver in einem Fass, das beim kleinsten Funken explodieren kann, und ein wildes Feuer mit großer Hitze erzeugt. Und erst, wenn alles verbrannt ist, wird es sich wieder beruhigen. Wahrlich, Zorn ist eine explosive Substanz, die nach der natürlichen Ordnung (von Ursache und Wirkung) explodieren und ringsherum alles verbrennen kann.

Empfindlichkeit ist noch kein Zorn. Erst wenn der Effekt anhält und sich ansammelt, spricht man von Zorn. Der Zorn ist ein inneres Feuer. Wenn es auflodert, dann spürt man die Hitze, und wenn andere ringsherum davon betroffen werden, dann heißt es äußerliche Wut. Dagegen brennt der Ärger vor allem nur innerlich. Doch beides ist Zorn, während die Empfindlichkeit etwas anderes ist. Von Zorn spricht man nur, wenn es anhält, sich ansammelt und irgendwann explodiert. Zum Beispiel ein Streit zwischen Ehepartnern, der die ganze Nacht anhält, so dass keiner gut schlafen konnte. Und am Morgen serviert die Frau den Frühstückskaffee voller Zorn, so dass die Tassen klirren. Der Ehemann versteht sofort, dass es immer noch die Nachwirkung des abendlichen Streites ist. Das ist Zorn. Und dieser Zorn kann lange andauern, manchmal sogar ein ganzes Leben. Er kann sogar Vater und Sohn für immer auseinander bringen. Den meisten Menschen sieht man ihren aufgeladenen Zorn bereits im Gesicht an.

137. Gier

Von Zorn, Stolz, Täuschung und Gier sind die Nachwirkungen der Gier am längsten und am schwersten loszuwerden. Gier ist ein starker Wunsch. Eine gierige Person lächelt sogar, wenn sie beleidigt wird. Auch ein Erleuchteter würde über eine Beleidigung lächeln, doch die gierige Person lächelt, weil sich der Knoten ihrer Gier verstärkt.

Ein gieriger Verkäufer würde sich zum Beispiel nicht beunruhigen, wenn sich ein Kunde beklagt, dass er seinen Sohn um 50 Cent betrogen hat. Er wird gelassen sitzen und lächeln. Und die Leute von der Straße sehen einen gelassen lächelnden Verkäufer und einen zornigen Kunden, der sich lautstark beklagt. Sie denken, der Kunde ist verrückt geworden, und bitten ihn, keinen Aufruhr zu veranstalten und den Laden zu verlassen. Sie sind überzeugt, dass so ein respektvoller Verkäufer nie ein Kind betrügen würde. Und während das alles geschieht, lächelt der Verkäufer. Warum? Weil seine Gier ihn glauben lässt: „Der dumme Kunde wird nach seinem Spektakel wieder gehen. Was geht mich sein Gejammer an? Ich habe zumindest 50 Cent gewonnen.“ So kann ein gieriger Mensch äußerlich wie ein Erleuchteter erscheinen. Wer dagegen mehr Stolz als Gier in sich hat, würde nicht lächeln, wenn er getadelt wird, sondern unverzüglich zornig werden. Aber eine gierige Person wird diesbezüglich noch keinen Zorn zeigen. Wann werden solche gierigen Personen wirklich zornig? Natürlich am Ende, wenn ihnen die Dinge ihrer großen Begierde aus den Händen gleiten. Wenn die eigene Täuschung nicht mehr funktioniert, dann werden sie richtig wütend.

Der Herr sagte, dass die Leute vor allem aufgrund ihres Zornes und Stolzes leiden. Der Stolz brütet Hass und Verachtung aus, und der Zorn verbrennt dich selbst und alle ringsherum. Die Leute versuchen Gottes Wort zu folgen: „Werde nicht zornig! Werde nicht stolz!“ Sie versuchen auf dem Yoga-Weg Körper, Rede und Gedanken zu beherrschen, und bis zu einem bestimmten Grad gelingt es auch mit dieser Übung, aber dabei wird ihr Intellekt immer schärfer. Und wie der Intellekt schärfer wird, so vermehrt sich die Selbst-Täuschung, um die eigene Gier zu beschützen. Dagegen sind Zorn und Stolz noch relativ harmlos, denn andere Leute werden diese Fehler an dir erkennen und dich tadeln. Aber Täuschung und Gier sind so tückisch, dass die Person selbst oft keine Ahnung von ihrer Existenz hat. Und wen sie einmal erfasst haben, werden sie nicht wieder loslassen. Vom Moment ihrer Geburt an, kann eine gierige Person von diesen Banden überwältigt werden. All ihre innere Kraft und Achtsamkeit richten sich dann unablässig auf die Gier. Während der Stolz einer stolzen Person erst aufsteigt, wenn sie ihr Haus verlässt (bzw. sich nach außen richtet). Wohin sie dann auch geht, überall sucht sie ihre persönliche Bestätigung, und wenn sie getadelt wird, wird sie zornig.

Was behindert deinen Weg zur Befreiung? Es sind Zorn, Stolz, Täuschung und Gier. Und die Leute benutzen die Täuschung, um ihre Gier zu beschützen. Dann betrügen sie ihre Kunden durch falsche Gewichte oder Maße. Und den Zorn benutzen sie, um ihren Stolz zu beschützen. So leben die Leute als Sklaven dieser Vierheit von Zorn, Stolz, Täuschung und Gier. Davon gibt es zwei Arten, nämlich beherrschbar und unbeherrschbar. Wenn du dich zum Beispiel über jemand ärgerst, aber den Ärger innerlich beruhigen kannst, dann ist er beherrschbar, und dein weltliches Leben wird angenehm und freundlich sein. Unbeherrschbare Wut kann dagegen niemand unterdrücken. Wie sehr du dich auch bemühst, du kannst den Ausbruch nicht vermeiden, und entsprechend leidest du selbst und alle anderen in deiner Umgebung.

Die geistigen Knoten von Täuschung und Gier sind stärker und fester als die Knoten von Zorn und Stolz. Sie sind wirklich schwer aufzulösen. Warum gilt die Gier als größte Schuld? Weil sie vor allem andere Wesen beraubt und verletzt. Es ist, als würdest du die Schleusen eines Trinkwasserreservoirs heimlich öffnen, so dass die anderen Wesen darunter leiden oder sogar verdursten müssen.

138. Täuschung

Täuschung ist eine bewusste Verfälschung. Die Täuschung betrifft alle drei Bereiche von Denken, Rede und Körper. Frauen neigen mehr zur Ansammlung von Täuschung und Einbildung (bzw. Illusion), und Männer mehr zur Ansammlung von Zorn und Stolz. Wenn sich eine Person im Leben mehr zu Täuschung und Einbildung neigt, wird sie im nächsten Leben einen weiblichen Körper bekommen, und mit der Neigung zu Zorn und Stolz einen männlichen. Frauen benutzen die Täuschung wegen ihrer eingebildeten Angst. Das erzeugt einen sehr dichten Schleier der Unwissenheit. Und die Einbildung verstärkt den Schleier der Illusion. Wie die Täuschung wächst, so wächst auch die Einbildung. Auf der anderen Seite haben die Männer mehr Stolz, und Stolz verstärkt das Ichbewusstsein.

139. Nahrung von Zorn, Stolz, Täuschung und Gier

Die Leute merken gewöhnlich nicht, wie sie Zorn, Stolz, Täuschung und Gier ernähren. Denn diese vier stehlen heimlich ihre Nahrung von dir. Wenn sie nur über drei Jahre hungern müssten, würden sie verschwinden. Aber welche Nahrung hält sie am Leben? Solange du nicht erkennst, wovon sie sich ernähren, wie willst du sie aushungern? Und weil das die Leute nicht erkennen, werden sie immer weiter gefüttert. Warum sonst konnten sie seit Urzeiten überleben? Du musst einfach nur aufhören, sie zu füttern. Doch daran denkt kaum jemand, denn gewöhnlich will man sie mit Gewalt totschlagen oder vertreiben. Aber so funktioniert das nicht mit ihnen. Wenn du das wahre Selbst verwirklichst, dann wird sich alles bereinigen, und auch diese vier werden verschwinden. Sie werden sich niemals mit Gewalt besiegen lassen, sondern nur mit Gewaltlosigkeit.

Wann wird ein Lehrer seine Schüler beschimpfen? Nur, wenn er sich über sie ärgert. Und wenn ihn jemand fragt: „Meister, warum beschimpfen Sie ihre Schüler?“ Dann antwortet er: „Weil sie es verdient haben!“ Das ist es, das ist die Rechtfertigung des Zorns! Und diese Rechtfertigung ist die Nahrung für den Zorn.

Und wenn dich eine geizige Person bittet, ein Päckchen Tee für sie zu kaufen, dann kaufst du es vielleicht für 40 Rupien, und sie tadelt dich: „Warum hast du so viel dafür bezahlt?“ Solche Worte ernähren die Gier. Wenn die Person aber auf den Tee gierig wäre, dann würde sie sogar 80 Rupien bezahlen und sich sagen: „Dieser vorzügliche Tee ist es wirklich wert!“ Auch so wird die Gier auf verschwenderische Weise gefüttert. Praktisch solltest du ‚normal‘ bleiben, weder übermäßig noch untermäßig.

Und was ernährt die Täuschung? Wenn ein Händler auf dem Schwarzmarkt handelt, aber sobald die Rede darauf kommt, dann behauptet er, dass man unter keinen Umständen auf dem Schwarzmarkt handeln sollte. So täuscht er äußerlich eine ehrenwerte Person vor. Das ist die Nahrung der Täuschung.

Und der Stolz? Wenn du Max auf der anderen Straßenseite siehst, dann rufst du ihm respektvoll einen „Guten Tag!“ zu. Wenn er sich dann geehrt fühlt und sein Ego aufflammt, dann ist das die Nahrung für den Stolz.

Alles, außer dem reinen Selbst, benötigt Nahrung zum Leben. Wir achten Zorn, Stolz, Täuschung und Gier, aber wir ernähren sie nicht. Denn woher stammen diese Vier? Ihr Ursprung liegt in der Ernährung durch dein eingebildetes Selbst, das sich durch Unwissenheit auflädt. Der Erleuchtungsgeist beendet diese Aufladung. Er zerstreut die Unwissenheit, die das eingebildete Selbst auflädt. Wenn sich daraufhin das reine Selbst voller Glückseligkeit verwirklicht, verschwindet die Einbildung der vergänglichen Welt, und man wird wirklich frei von dieser Vierheit aus Zorn, Stolz, Täuschung und Gier.

Der Erleuchtungsgeist kann alles vollbringen. Durch die Anhaftung an Zorn, Stolz, Täuschung und Gier wird das reine Selbst zum eingebildeten Selbst und die reine Erkenntnis zur illusorischen Unwissenheit. Wie sonst könnte Gott, der völlig frei von Anhaftung ist, damit verbunden sein?

140. Fremde und heimische Angelegenheiten

Wenn es eine Naturkatastrophe wie ein Hurrikan oder Vulkanausbruch in einem fremden Land wie zum Beispiel Peru gibt, dann wird unser Außenminister sein Kabinett einberufen und einen offenen Brief verabschieden, um allen Opfern, die dort unter den Schäden leiden müssen, sein herzliches Beileid auszudrücken. Er zeigt damit seine Anteilnahme im Namen unserer Nation und tröstet sie vielleicht noch, indem er die heimische Nationalfahne auf Halbmast einholen lässt. Auf der einen Seite bringt er zwar sein Bedauern zum Ausdruck, aber auf der anderen Seite genießt er dabei Kaffee und Kuchen. Auf diese Weise handelt er diplomatisch in fremden Angelegenheiten und intensiv bei seinen heimatlichen Angelegenheiten. Bezüglich der fremden Dinge sind seine Sorgen und Sympathien nur diplomatischer Art, und sein Herz verliert sich nicht darin. Er hält Abstand und erfreut sich der heimischen Dinge.

In gleicher Weise hat jede Person zwei Bereiche, einen heimischen und einen fremden. Im fremden Bereich solltest du diplomatisch sein und im heimischen intensiv. Dein ganzes Herz sollte beim reinen Selbst sein. Und bei den weltlichen Angelegenheiten der Gedanken, Worte und Taten solltest du zwar achtsam sein, aber dich nicht darin verlieren. Denn die äußeren Umstände werden sich ständig ändern, aber verlieren solltest du dich nur in den Umstand des reinen Selbst. In allen anderen Umständen solltest du ohne Anhaftung und Verstrickung bleiben.

141. Umstände

Eigentlich gibt es nur zwei Dinge in der Welt, die Umstände und das Selbst. Wenn du dich persönlich mit den Umständen identifizierst und darin verlierst, dann vermehrst du das weltliche Leben. Aber wenn du allein als Seher der Umstände verweilst, dann bist du das reine Selbst.

Die Welt verändert sich ständig aufgrund ihrer natürlichen Entwicklung. Umstände kommen zusammen, um dann wieder zu vergehen. So drehen sich die Umstände unablässig im Kreis (von Ursache und Wirkung), und die ganze Welt funktioniert durch das Entstehen und Vergehen von Umständen. Wer sonst wäre der Handelnde in der Welt? Es gibt keinen anderen Handelnden, und die Welt funktioniert nach der natürlichen Ordnung der Umstände. Wie die Umstände zusammenkommen, so werden die Wirkungen erscheinen. Niemand muss sich darum sorgen. Oder muss jemand den Regenbogen mit Farben füllen? Nein, der Regenbogen erscheint, wenn die nötigen Umstände zusammenkommen. Dazu gehören zum Beispiel Sonne, Wolken, Regen und natürlich ein Betrachter. Nur wenn all diese Umstände zusammenkommen, erscheint auch der Regenbogen. Wenn die Sonne behaupten würde, dass nur durch sie der Regenbogen entsteht, dann wäre das eingebildeter Egoismus, weil auch die Regenwolken nötig sind. Und wenn die Wolken behaupten würden, dass sie den Regenbogen hervorbringen, dann wäre auch das nur eine dumme Einbildung. Nur wenn alle nötigen Umstände zusammenkommen, kann die jeweilige Wirkung erscheinen. Und wenn die Konstellation der Umstände wieder vergeht, dann vergeht auch die Wirkung. Wenn nur ein Umstand für einen Regenbogen verschwindet, dann verschwindet auch der Regenbogen.

Wie die Umstände zusammenkommen, so trennen sie sich auch wieder. Alle Umstände sind von Natur aus der Auflösung unterworfen und stehen unter dem Gesetz der natürlichen Ordnung (von Ursache und Wirkung). Diese natürliche Ordnung bestimmt, wann und wie die Umstände zusammenkommen. Warum willst du dich hier einmischen? Diese ganze Welt ist durch die natürliche Ordnung entstanden. Sie ist nichts als Natur, und ihr Grundprinzip ist die natürliche Ordnung. Das bewegt die ganze Welt zusammen mit dem Kommen und Gehen der Umstände. Zahllose Umstände müssen für ein einziges Ereignis zusammenkommen. Zahllose Umstände sind nötig, dass du abends einschlafen und früh wieder erwachen kannst. Die natürliche Ordnung (von Ursache und Wirkung) ist das große Wunder, das zur rechten Zeit alle nötigen Umstände zusammenbringt.

Schau dir nur die Wasserblasen am Grund eines Wasserfalls an! Wer schafft all die vielen Blasen unterschiedlicher Formen und Größen? Sie entstehen von selbst, wenn Luft, strömendes Wasser und Wirbel zusammenkommen. Je größer die Kraft des Wassers, umso größer die luftgefüllten Blasen. Sind nicht auch die Menschen wie solche Wasserblasen? Zumindest entstehen auch sie durch das Zusammenkommen bestimmter Umstände.

Die gleichen Umstände können der einen Person angenehm und der anderen unangenehm erscheinen. Das gilt für alle Umstände. Der eine mag sie, der andere nicht. Du kannst natürlich versuchen, nur Angenehmes anzusammeln, aber du weißt nie, wann die Trennung kommt und sich diese angenehmen Umstände wieder auflösen. Denn die Umstände bedingen sich nacheinander in einer endlosen Kette. Und nachfolgende Umstände erscheinen erst, wenn sich die vorhergehenden aufgelöst haben.

Wenn der Mensch die Umstände in den zwei Arten von angenehm und unangenehm erfährt, dann sind die unangenehmen Umstände die Früchte von sündhaftem Karma, und die angenehmen die Früchte von verdienstvollem Karma. Und die Frucht des reinen Selbst (bzw. Dharmas) ist die Befreiung.

Umstände sind irgendwo immer leidvoll, ob sie dir gefallen oder nicht. Angenehme Umstände enden im Leiden, und unangenehme Umstände beginnen mit Leiden. Nach dem Gesetz der Natur müssen sich alle entstandenen Umstände wieder auflösen, und jede Auflösung lässt neue Umstände entstehen. Auch der Herr (Lord Mahavir) sprach von guten und schlechten Umständen. Die Leute nennen einen Umstand schlecht, wenn sie negativ darüber denken. Wenn jemand verhaftet wird, gilt es als schlechter Umstand, und wenn jemand die Belehrung eines Weisen besucht, als guter Umstand. In dieser Welt ist das Zusammenfügen von Umständen das Füllen, und das Auflösen von Umständen das Leeren. Mehr gibt es nicht.

Das Auflösen der Umstände ist genauso schwer wie das Zusammenfügen. Viele Leute hegen euphorische Hoffnungen auf das Zusammenkommen bestimmter Umstände. Und wer das Karma-Konto dafür hat, wird dieses Glück auch irgendwann erfahren. Doch wenn das Konto verbraucht wird, schwindet auch das Glück wieder. Sie freuen sich zum Beispiel auf ihren Jahresurlaub. Und wenn die Reise dann beginnt, kennt ihre Freude keine Grenzen mehr. Aber so, wie die Reise ihren Lauf nimmt, so nimmt auch das Konto der Freude ab, bis nichts mehr übrig ist (und dann freuen sie sich wieder auf die Rückkehr nach Hause).

Sobald bestimmte Umstände zusammenkommen, beginnen sie sich schon wieder aufzulösen. Und mit der Auflösung kommen wieder neue Umstände zusammen. Wenn sich bestimmte Umstände auswirken, entstehen wieder neue Umstände. Sie entstehen in dieser Welt, um ihre Ziele zu erreichen, und die Menschen sollten sie achtsam erkennen, untersuchen und daraus lernen. Aber die Leute suchen lieber kurzsichtige Auswege und verlieren sich in Sackgassen. Wo ist ihr großes Glück? Sie heiraten, um ihr Glück zu finden. Gibt dir die Ehefrau das große Glück? Liegt es in den Kindern oder Schwiegereltern? Wo ist es? Warum schauen sie nicht weiter? Die Leute erfahren Hass und Streit. Warum untersuchen sie nicht die Gründe dafür? Alle weltlichen Beziehungen sind nur relative Beziehungen und keine wahren. Sie existieren, um dich zu höherer Erkenntnis zu führen. Wer auf diesem Weg alles genau untersucht und daraus lernt, für den werden Anhaftung und Abneigung langsam nachlassen, und er wird zum Suchenden auf dem Pfad der Befreiung.

Es gibt keine bessere Lebensform als deine menschliche, um die Befreiung zu erreichen. Wer mit dieser Menschengeburt gesegnet wurde, und darüber hinaus noch mit den Umständen für die Befreiung gesegnet wird und die nötigen Mittel findet, der kann das große Werk vollbringen. Denn solange die Umstände nicht rein sind, lässt sich die Befreiung nicht erreichen. Und der einzig reine Umstand ist der Erleuchtungsgeist. Dazu steht geschrieben:

Der Erleuchtungsgeist gewährt das reine Selbst.
Er beseitigt das Ego und die weltlichen Anhaftungen.
Er allein ist der ursprünglich reine Umstand,
der mich aus dem Kreislauf von Geburt und Tod befreit.
Ich verneige mich vor diesem Barmherzigen!

Der Erleuchtungsgeist ist der einzige Umstand und das ursprüngliche Mittel, um das reine Selbst zu verwirklichen und die persönlichen Vorstellungen von Ego, Ich und Mein aufzulösen. Oder anders gesagt, der Erleuchtungsgeist macht es möglich, das reine Selbst anzunehmen und die Ego-Anhaftung aufzugeben. Deswegen wird er das ursprüngliche Mittel und der einzig reine Umstand für die Befreiung genannt.

Das Selbst und die Umstände haben eine Beziehung wie der Erkennende und das Erkennbare. Das reine Selbst ist mit den Umständen nur als erkennender Seher verbunden. Es mischt sich nicht ein und ist frei davon. Alles andere ist mit den Umständen verstrickt. Das Entstehen und Auflösen der Umstände sind erkennbare Objekte, und du bist das reine Selbst, der erkennende Seher. Wenn sich aber der Seher mit den Objekten identifiziert, dann wird er verstrickt und wandert im endlosen Kreislauf von Geburt und Tod.

Was man durch die fünf Sinne wahrnimmt, sind greifbare Umstände. Darüber hinaus gibt es noch die subtilen Umstände des geistigen Organismus (von Sinnesbewusstsein, Denken, Intellekt und Ego) und der Sprache. Die Verbindung zwischen diesen Umständen und dem Selbst ist nur eine vorübergehende Beziehung und nichts Wahres. Diese Beziehung zwischen Selbst und Umständen ist die Beziehung von erkennendem Seher und erkennbaren Objekten. Und solange diese Beziehung rein bleibt, bleibt auch das Selbst ungebunden und frei. Aber die Leute verheiraten sich mit ihren Umständen, und dadurch werden sie so sehr gebunden, dass sie sich auch mit aller Kraft nicht wieder befreien können. Das Selbst ist normalerweise vollkommen frei. Es kann die Umstände von allen Seiten erkennen und durchschauen. Aber was will man tun, wenn das Selbst mit den Umständen verheiratet wurde?

Alle Umstände sind Auf- und Entladungen der Natur und kein reines Selbst. Deshalb ist zum Beispiel ein Esel nicht nur ein Umstand der Natur, sondern eine Mischung zwischen Selbst und Umständen. Doch in Wahrheit ist das Selbst nicht vereint darin. Eine solche Identifikation erscheint nur durch Illusion und Unwissenheit, und ist ein folgenschwerer Fehler.

Wie die Umstände automatisch zusammenkommen, so wandelt sich auch die erkennende Sicht auf die Welt. Doch in Wahrheit hat sich weder das Selbst noch seine Eigenschaft verändert, nur die Sicht hat sich gewandelt. Es sind die Wandlungen von Sicht und Erkenntnis, die zur Vielfalt der Welt werden und unterschiedlichste Ansichten hervorbringen.

Es ist wie ein Wissenschaftler, der in seinem Labor voller Instrumente ein Experiment durchführt, bei dem etwas Gas aus einem undichten Behälter austritt. Er atmet es ein, wird langsam ohnmächtig und beginnt, alles Wahre zu vergessen. Doch wenn sein Bewusstsein wieder erwacht, beginnt er langsam, sich an alles zu erinnern. Sein inneres Licht wächst, und er erkennt und versteht immer mehr. Zuerst dachte er, dass er alles im Griff hatte. Dann verlor er die Kontrolle, und danach erkannte er, dass es weniger in seiner Hand lag, sondern in der Hand Gottes. Und wenn sein Bewusstsein noch weiter erwacht, wird er erkennen, dass alles um ihn herum nur die Illusion der Unwissenheit ist, und es nicht einmal einen Gott gibt, der über alle Umstände herrscht. Und falls er vollkommen erwacht, dann wird ihm klar, dass die Umstände von selbst entstehen, und nur dann kann er davon frei werden und die Glückseligkeit erreichen. Auf diese Weise wandelt sich die Sicht und Erkenntnis des Bewusstseins. Sobald sich der Experimentierende mit seinem Experiment identifiziert und in die Umstände verstrickt, dann fällt er in die schreckliche Ohnmacht der Unwissenheit. Doch wenn er erwacht und erkennt, dass er völlig unabhängig von den Umständen ist, dann kann er die Befreiung erreichen.

Unzählige Umstände entstehen in einer endlosen Kette. Wenn du dich damit identifizierst und darin verlierst, dann säst du neue Karma-Samen aus. Wie kannst du das Problem lösen? Erst, wenn du nur als erkennender Seher der Umstände verweilst, werden keine neuen Samen mehr gesät. Auch wenn es unendlich viele Umstände gibt, wenn sie keine karmischen Samen mehr säen, wirst du sicher die Befreiung erreichen.

Die Menschen werden einzig durch die Umstände gebunden. Auch unsere großen Seelen (die Mahatmas) sind von Umständen umgeben, aber sie verweilen als erkennende Seher dieser Umstände. Wenn du von den Umständen gefangen und gebunden wirst, werden alle deine Kräfte behindert. Für einen Erleuchteten kommen und gehen die Umstände, aber er verstrickt sich nicht darin. Wir beobachten sie mit Abstand, und damit verschwinden sie wieder. So wie das Selbst sich selbst erleuchtet, so erleuchtet es auch alle Umstände. Nur das reine Licht kann alles erleuchten.

Es gibt kein Bewusstsein in den Umständen. Deswegen ist unser wahres Wesen jenseits der Umstände. Die Gefühle von Gut und Schlecht bezüglich irgendjemand sind nur Umstände, die uns (als reines Selbst) nicht gehören. Diese Umstände sind vergänglich, und was vergänglich ist und kommt und geht, das ist nicht dein wahres Wesen. Wie kannst du glauben, dass es dein ist? Die Umstände kommen und gehen wie auch unsere Nachbarn kommen und gehen. Unwissende Leute glauben, dass ihre guten und wohlwollenden Gedanken ihr reines Selbst sind, aber das ist es noch nicht. Welche Gedanken und Gefühle auch kommen, du solltest dir stets bewusst sein: „Sie sind nicht mein.“ Das ist alles, was zu erkennen ist. Es sollte keinerlei Gefühle des persönlichen Eigentums für irgendwelche Umstände geben, ob sie nun angenehm erscheinen oder unangenehm. Wir sagen es der Welt, wie es in Wahrheit ist: Das reine Selbst ist von allen groben, subtilen und sprachlichen Umständen völlig unabhängig.

Diesbezüglich gibt es nur zwei Dinge in der Welt, das Selbst und die Umstände. Jedes Handeln oder nicht Handeln hängt von den Umständen ab, während das reine Selbst völlig unabhängig ist. Hätte jemand die Kontrolle über die Umstände, würde er die unangenehmen Umstände nicht zulassen und die angenehmen Umstände nicht gehen lassen, und so könnte niemand in der Welt die Befreiung erreichen.

Wahre Erkenntnis ist, dass alles Vergängliche, das von Umständen abhängig ist, nicht mein wahres Wesen ist. Es kommt und geht durch das Zusammenkommen und Auflösen von Umständen und ist alles ‚nicht Mein‘. Wenn alle Sichtweisen der Erkenntnis gereinigt sind, dann ist die Allwissenheit erreicht. Denn die subtilen Umstände kann man nur erkennen, wenn auch die tiefere Sicht gereinigt ist. Und wenn alle Richtungen der Sicht rein sind, dann ist der grenzenlose Seher erreicht, der Vollkommene und das Höchste Selbst.

Auch wenn es noch keine wahre Erkenntnis dafür gibt, wie die Umstände von selbst entstehen, schon wenn das Ego daran glaubt, sammelt man verdienstvolles Karma an und kann sich nach dem Tode in himmlische Bereiche erheben. Aber was machen die Leute? Wenn etwas schiefgeht, dann beschuldigen sie die schicksalhaften Umstände. Und wenn es nach ihrem Willen läuft, dann glauben sie, sie haben die Umstände dafür so geschaffen, wie sie es wollten. Solche Ansichten unterstützen nur das persönliche Handeln und die persönliche Bindung an die Taten. Unsere großen Seelen (die Mahatmas) sind von solchen Ansichten befreit. Sie leben unter den gleichen Umständen wie andere, ertragen die gleichen Karma-Wirkungen, sind verheiratet, haben Kinder und Schwiegereltern usw., aber sind trotzdem sehr gelassen und glücklich.

Warum sollten wir die Umstände fürchten, wenn sie dazu bestimmt sind, sich wieder aufzulösen? Wir fürchten weder Alter noch Tod oder Geburt. Es sind nur Umstände, die kommen und gehen. Für den Erleuchteten gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Umstand des Sterbens und dem Umstand einer Mahlzeit. Es sind nur gegenwärtig zusammengekommene Umstände in der Welt, sonst nichts. Diese ganze Welt besteht nur aus Umständen, die sich im gegenwärtigen Moment zeigen. „Betrachte mit achtsamer Gelassenheit, wie sich alle Umstände, die dir begegnen, wieder auflösen.“ Dieser Satz ist ein sehr mächtiger Schlüssel. Er umfasst die Essenz aller heiligen Schriften der Welt. Du bist allein der erkennende Seher der Umstände, die sich dir gegenwärtig zeigen, und von nichts anderem.

Angenommen, du sollst um 11:00 Uhr im Gericht sein, aber um dieselbe Zeit wird gerade dein Mittagsessen serviert, dann ist das Mittagessen der Umstand, der direkt vor dir ist. Deshalb solltest du dich mit achtsamer Gelassenheit zuerst diesem Umstand zuwenden und in Ruhe dein Mittagessen verzehren. Versuche nicht, doppelt so schnell mit zwei Händen zu essen! In Ruhe bedeutet, dass dein Bewusstsein nur hier beim Essen sein sollte und nicht im Gerichtshof. Ansonsten wärst du geteilt, dein Körper würde hier essen und dein Bewusstsein bereits im Gerichtshof wandern. Deshalb beende zuerst in Ruhe das Essen, und dann geh in Ruhe zum Gerichtshof. Aber was tun die Leute? Sie sind nicht fähig, die gegenwärtigen Umstände mit Freude zu begrüßen, sondern jagen voller Verwirrung nach den Umständen, die nicht da sind. Damit verlieren sie beide. Erfreue dich dankbar an der Speise, die direkt vor dir steht, dann wandelt sie sich zum Guten. Der Gerichtshof ist noch weit weg. Warum zieht es dich dorthin? Vollbringe dein Werk unter den gegenwärtigen Umständen!

Und wenn du auf den erleuchteten Geist triffst, dann vollbringe auch hier dein Werk, ansonsten verlierst du den Sinn deiner ganzen Existenz auf Erden. Wer sonst könnte dir so ein einfaches und wahrhaftes Erkennen geben? Das ist allein das Werk der Selbstverwirklichung. Dieser Erleuchtungsgeist ist das Werkzeug des höchsten Umstands für alle Geschöpfe der ganzen Welt. Es heißt, wer einfach und wahrhaft ist, bei dem klopft die Vollkommenheit von selbst an die Tür und schenkt die Befreiung.

Nur wer nahe an der Befreiung ist, kann dieses beste Werkzeug, den Erleuchtungsgeist, relativ einfach erhalten. Die Befreiung ist nicht schwer, aber den Erleuchtungsgeist zu finden, das ist gewöhnlich sehr schwer. Die Wahrscheinlichkeit ist unbeschreiblich. Du bist schon durch so viele Verkörperungen gewandert und hast nirgends die wahre Glückseligkeit gefunden. Die ganze Zeit hast du nur mit deinem Ego gejammert und geschrien. Du suchst die Befreiung, aber kannst den Pfad nicht finden. Dieser Pfad ist höchst selten, weil der Umstand, auf den Erleuchtungsgeist zu treffen, höchst selten ist. Alle anderen Umstände kommen und gehen, nur der Umstand des Erleuchtungsgeistes kann die ewige Gelassenheit gewähren. Hier und jetzt ist die beste Zeit, um das Ziel zu erreichen! Der Wunsch, den Erleuchtungsgeist zu finden und mit ihm verbunden zu sein, mobilisiert die außergewöhnlichen Kräfte, mit denen du jedes Hindernis überwinden kannst.

142. Umstände der Natur

Alles, was dir begegnet, sind Umstände entsprechend deiner Natur. Und alles, was du besitzt, entspricht deiner Natur. Die Art und der Geschmack von Tee, Gemüse und anderen Speisen, bekommst du je nach deiner Natur. Aber das alles vermischt sich mit deinem Komplex von Zorn, Stolz, Täuschung und Gier. Die Gier mischt sich ein, indem sie dich zum Ergreifen und Ansammeln der Dinge drängt. Dazu kommt dann die Täuschung, um diese Gier zu rechtfertigen. Doch in Wahrheit gibt es keine Notwendigkeit, sich hier einzumischen. Du wirst alles entsprechend deiner Natur und deinen Bedürfnissen bekommen. Was würde geschehen, wenn sich die Leute zu sorgen beginnen, ob die Sonne morgen wieder aufgeht? So ein Unsinn! Alles geschieht in deinem Sinne, wenn du erkennst, wie du dich daran erfreuen kannst. Sonne, Mond, Sterne, Wind, Feuer, Wasser und Erde, das ist alles für dich da!

Wenn du zum Beispiel die Chance hast, entsprechend deiner natürlichen Neigung zehn Tage in einem Kurort in den Bergen zu verbringen, dann würdest du dir noch zehn Tage mehr wünschen, aber schon zwei Tage an einem anderen Ort könnten für dich eine Qual sein. Alle nötigen Nahrungsmittel und Getränke kommen entsprechend deiner Natur zu dir, nur deine Gier ist damit nicht zufrieden. Selbst wenn du Verzicht und Fasten übst, geschieht das entsprechend deiner Natur, und dein Ego behauptet: „Ich mache das!“

Ob du wirklich zur Askese fähig bist, entscheidet deine Natur. Es gab einmal einen Geschäftsmann, der lebte in Baroda mit seiner Ehefrau und sechs Kindern. Doch weil sie oft stritten und er sich kritisiert fühlte, hatte er es irgendwann satt und dachte, ihm würde es besser ergehen, wenn er ein Mönch wäre. Zumindest würden ihn dann die Leute respektieren und verehren. So verließ er eines Tages seine Familie und wurde Mönch. Aber seine Frau war nicht dumm und spürte ihn in einem Tempel in Delhi auf. Völlig unerwartet erschien sie dort, wo ihr Mann mit rasiertem Kopf im Mönchsgewand gerade in einer religiösen Belehrung seines Gurus saß. Und höchst empört begann sie, inmitten der Versammlung ihren Mann zu beschimpfen: „Was machst du mit mir? Was soll das? Was für ein Ehemann bist du? Du bist wie ein Feigling weggelaufen und hast mir die Verantwortung für sechs Kinder allein überlassen! Wer kümmert sich nun um ihre Erziehung, Ausbildung und Hochzeit?“ Dann ergriff sie seine Hand und begann, ihn wegzuziehen. Der Mann erkannte, dass hier kein Protest half, und um ein noch größeres Spektakel zu vermeiden, bat er darum, wenigstens noch seine Kleider wechseln zu dürfen. Aber seine Frau ließ nicht locker und sprach: „Ich lass dich nicht gehen! Schäm dich, wenn du immer nur weglaufen willst! Deine Kleidung ist mir völlig egal, Hauptsache, du kommst nun wieder nach Hause.“ Der Guru erkannte die Situation und gab ihm mit einem Zwinkern zu verstehen, dass er mit ihr gehen sollte. So kehrte die Frau mit ihrem Ehemann, der noch das Gewand der Mönche trug, nach Hause zurück. Der Rückzug als Mönch entsprach nicht seiner Natur, und so wurde er wieder Hausvater.

Eine andere Geschichte berichtet von einem Einsiedler, der als Mönch alt geworden war und sich kaum noch bewegen konnte. Er hatte aber niemanden, der ihn pflegte, und so erinnerte er sich an sein Zuhause und hoffte, dass seine Schwiegertochter und die anderen Familienmitglieder ihm helfen würden. Irgendwie kam er dann auch nach Hause, doch die Familie wies ihn zurück. Denn der Rückzug entsprach seiner Natur, und so traf ihn das Einsiedlerleben auch im Alter.

Wahrlich, so seltsam arbeitet die Natur. Was ist diese Natur? Wir können ihr verschiedenste Namen geben, aber im Grunde ist sie das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die Leute tanzen nach dem Takt der Natur, aber glauben: „Ich tanze! Ich verzichte! Ich handle! ...“ Der Rückzug aus der Gesellschaft ist nur möglich, wenn es deiner Natur entspricht. Ansonsten holt dich deine Ehefrau einfach zurück. Denn es ist nicht möglich, der Natur zu entkommen. Wenn du zum Höchsten Geist (bzw. reinem Selbst) wirst, dann wird die Natur im natürlichen (weiblichen) Bereich arbeiten, und du wirst im geistigen (männlichen) Bereich verweilen. Höchster Geist bedeutet höchstes Selbst. Doch solange du kein Höchster Geist bist, wirst du nach dem Takt der Natur tanzen.

Viele Schriften sagen, du sollst die Erkenntnis des Selbst erreichen, und nicht der Natur. Doch wenn du das wahre Wesen der Natur erkennst, dann kannst du auch das wahre Selbst erkennen. Wenn du zum Beispiel ein Gemisch aus Öl und Wasser hast, und die Eigenschaften von Wasser kennst, dann kannst du das Wasser verdunsten lassen und erkennen, was Öl ist. Deswegen sagen wir, dass du die Natur erkennen sollst. Denn alles, was unbeständig und vergänglich sowie unzuverlässig und flüchtig ist, gilt als Teil der Natur.

Was ist unzuverlässig und flüchtig? Zuerst die fünf Sinne. Deine Augen werden auch das sehen, was du nicht gern sehen willst. Und deine Nase wird auch das riechen, was du nicht gern riechen willst. Und dein Körper? Auch er wird von selbst wegspringen, wenn ein Auto auf dich zukommt, ohne dass du darüber nachgedacht und dich dazu entschlossen hättest. Auch Denken und Sinnesbewusstsein sind unzuverlässig und flüchtig. Du magst hier in der Belehrung sitzen, und dein Sinnesbewusstsein wandert bereits auf dem Bahnhof umher. Und der Intellekt? Auch wenn du weißt, dass man einer Dame nicht beim Baden zuschauen sollte, dein Intellekt wird sich gegen alle vernünftigen Argumente durchsetzen. Und wenn dich jemand respektvoll grüßt, dann flammt dein Ego voller Stolz auf. Das ist die Unzuverlässigkeit des Egos. All das sind vergängliche, unzuverlässige und flüchtige Teile der Natur. Wenn du dieses vergängliche Wesen vollkommen durchschaut und aufgelöst (bzw. ‚verdunstet‘) hast, dann bleibt das unvergängliche Selbst zurück.

Mitleid, Stolz und Ego, Kummer und Freude, Glück und Unglück sind alles gegensätzliche Eigenschaften der Natur, die vergänglich und unzuverlässig sind. Allein der reine Geist ist das Unvergängliche und Verlässliche. Wenn du den reinen Geist erkennst, dann erreichst du das reine Selbst und wirst das vollkommene Höchste Selbst.

143. Konzentration und Yoga

Einmal kam ein Mann zu mir, er war Ingenieur, und bat mich, ihm den Weg zur Befreiung zu zeigen. Da fragte ich ihn, was er bisher dafür getan habe. Und er antwortete, dass er Konzentration übe. Darauf sprach ich zu ihm: „Wer unter mentaler Unruhe leidet, sollte die Medizin der Konzentration anwenden. Denn wer übt Konzentration? All jene, die unter innerer Unruhe leiden. Ein einfacher Arbeiter (der sonst an nichts denkt) braucht so etwas nicht, denn er leidet nicht unter mentaler Unruhe. Auch Erleuchtete brauchen keine Konzentrationsübung, weil sie von mentaler Unruhe frei sind. Die Übung der Konzentration ist wie eine beruhigende Medizin für das innere Feuer. Aber was hat das mit dem reinen Selbst zu tun? Wurde damit irgendeine deiner Sorgen geringer?“

Der Ingenieur war geistig schon weit entwickelt und antwortete: „Ich habe Ihre Worte verstanden, und dieses Missverständnis ist verschwunden. Aber was ist mit Yoga? Ich übe jeden Tag vier Stunden.“ Da fragte ich ihn: „Wofür übst du Yoga, für etwas bereits Bekanntes oder für etwas Unbekanntes? Denn du kennst das reine Selbst noch nicht, sondern nur diesen Körper. Und deshalb ist die Yoga-Übung zunächst nur für den Körper. Kannst du über ein unbekanntes Gesicht meditieren? Nein, wie könnte man also über das reine Selbst meditieren, solange es unbekannt ist? Was du als Yoga geübt hast, ist zunächst eine körperliche Übung, und weniger für das reine Selbst. Befreiung erreicht man nur durch den Yoga des Selbst, während der Yoga des Körpers vor allem weltliche Früchte bringt. Alle unsere großen Seelen (die Mahatmas) sind Selbst-Yogis, und wir sind das vollkommene Selbst.“

Yoga stammt aus dem Sanskrit-Verb ‚yuj’ und heißt ‚verbinden‘, und das ist nur mit bekannten Dingen möglich, nämlich Yoga des Körpers, der Worte und der Gedanken. Damit lassen sich die körperlichen Energien regulieren und fördern, aber wahre Befreiung lässt sich nur durch das Selbst-Yoga erreichen.

Es gibt Yogis in dieser Welt, die üben den Yoga der Gedanken und des Intellekts. Aber nur wenige haben einen wahren oder reinen Intellekt, viele andere haben einen gewöhnlichen oder sogar feindlichen. So gibt es unterschiedliche Arten der Yoga-Wege. Durch Körper-Yoga wirst du zum persönlichen Asketen, durch Sprach-Yoga zu deinem persönlichen Anwalt, doch nur durch Selbst-Yoga wirst du zum reinen Selbst. Denn die Selbstverwirklichung ist der einzig wahre Yoga auf dem Weg zur Befreiung.

Wenn du Selbst-Yoga übst, und die Gedanken beginnen, alle möglichen Dinge aufzuzeigen, dann bitte sie zu gehen, ohne zu schimpfen. Sag ihnen, sie mögen später wiederkommen. Erinnere dich an die Selbstverwirklichung und erkenne, dass sie niemals vergehen kann. Was du ohne Selbstverwirklichung erkennst, das erkennst du mit Unwissenheit. Und was du nach der Selbstverwirklichung erkennst, das erkennst du alles in der Wahrheit. Selbst-Yoga (Verbindung mit dem reinen Selbst) ist Selbstverwirklichung. Dieser Erkenntnis-Yoga ist der wahre Gipfel, und das dreifache Yoga (von Denken, Sprache und Körper) ist der Weg auf der geistigen Reise.

144. Innere Stille

Auf dem Weg des dreifachen Yogas lässt sich das Feuer von Gedanken, Worten und Taten beruhigen, aber diese innere Stille kommt durch die Kraft des Yogas und nicht aus der wahren Befreiung. Die große Glückseligkeit der Befreiung kann nur der Selbst-Yogi erfahren, der das reine Selbst erkennt.

Was ist diese innere Ruhe oder auch Stille? Die Stille, die durch die Kraft der Yoga-Übung erreicht wird, wirkt nur vorübergehend, solange die Yoga-Übung wirkt. Nur wenn die Anhaftung an die Welt verschwindet, kann diese unvergängliche innere Stille frei von allen gegensätzlichen Gedanken erreicht werden. Das ist eine vollkommen normale Stille, die keine Anstrengung mehr erfordert. Sie bleibt auch im alltäglichen Leben bewahrt, ob du gehst, sitzt, isst oder sogar streitest. Nur wenn diese Stille der konzeptionellen Gedanken besteht, kann man die wahre Erlösung erreichen.

Eine egoistische Person kann niemals von ihren konzeptionellen Gedanken frei sein. Wer jedoch vollkommen frei und normal geworden ist, kann auch andere damit segnen. Dann ist das Selbst vollkommen frei von der Körperlichkeit, und diese Freiheit ist unvergänglich. In jeder Situation ist diese innere Stille gegenwärtig, völlig frei vom Zwang der Gedanken oder von weltlicher Aktivität.

Wenn der Zwang der konzeptionellen Gedanken auch von „Ich“ und „Mein“ verschwindet, dann wirst du selbst zum reinen Selbst, vollkommen erlöst. Doch das kann ohne Selbsterkenntnis nicht geschehen. Viele Yogis haben versucht, von allen Gedanken und Konzepten frei zu werden, außer von „Ich existiere!“. Das ist noch keine Erleuchtung! Natürlich hat sich das geistige Licht vermehrt, aber die Selbsterkenntnis wurde nicht erreicht. Das reine Selbst ist sein eigenes Sein (seine Eigenschaft), sein Dharma (seine Funktion) und seine Sicht (sein Zustand). Deshalb ist das Selbst unsichtbar und unbegreifbar. Das Selbst zeigt sich vollkommen nur im erleuchteten Geist. Ohne dieses Ziel kannst du es nicht erreichen.

Die normale Stille ist unvergänglich, und verschwindet auch nicht, wenn ringsherum Streit und Zerstörung wüten. Alle anderen geistigen Errungenschaften sind dagegen Illusion, das reflektierte Licht des eingebildeten Selbst. Nur das reine Selbst ist ewiges und direktes Licht (bzw. reines Bewusstsein), das allein als erkennender Seher verweilt. Der Geist, der für alles eine Lösung hat und in jeder Situation vollkommen gelassen bleibt, ist wahre Erkenntnis. Und wahre Stille ist, wenn die innere Stille beständig bleibt, auch wenn alle fünf Sinne völlig wach sind. Das ist die vollkommene Freiheit von Anhaftung unter allen Umständen und in jeder Lebenslage.

Auch durch die Zügelung des Atems kann man diese innere Stille nicht erzwingen. Das gleicht (ohne Selbsterkenntnis) dem Versuch, einem Kind die Nase zuzuhalten. Es wird Angst bekommen zu ersticken, und dir in die Finger beißen. - Wahre innere Stille ist die Freiheit von geistigen, körperlichen und äußeren Sorgen und Beschwerden. Sogar im Sterben zieht man sich dann in das reine Selbst zurück und verweilt im Selbst. Unsere großen Seelen, die mit wahrer Erkenntnis gesegnet wurden, sterben in dieser Stille. Sie verlassen ihren Körper mit der Gegenwärtigkeit des reinen Selbst.

Fragender: Was macht den Geist so unruhig?

Dadaji: Kannst du über längere Zeit still sitzen? Wenn nicht, wie kannst du von deinem Geist erwarten, dass er still verweilt? Es gibt sehr viele Übungen und Mittel, um den Geist zu beruhigen, aber auch sehr viele Hindernisse auf diesen Wegen. Doch wahrlich, es ist möglich, sogar inmitten aller geistigen, körperlichen und äußeren Sorgen in vollkommener Stille zu verweilen.

145. Meditation und Ziel

Fragender: Ich kann nicht gut meditieren. Was soll ich tun?

Dadaji: Angenommen, wir würden dich in perfekte Meditation versetzen, was würde es dir nützen, wenn du noch viele weitere tausend Stufen steigen müsstest? Komm nur her, und wir versetzen dich direkt in perfekte Befreiung. Du solltest zielgerichtet nach dem Wahren fragen. Warum fragst du nach vergänglicher Meditation? Das ist etwas Unvollkommenes.

Fragender: Aber die Befreiung ist bestimmt sehr schwierig!?

Dadaji: Wir geben sie dir. Was ist daran schwierig? Wenn schon unter einem guten Staatsführer alle Werke erfolgreich sind, was könntest du unter der Führung des Erleuchtungsgeistes nicht erreichen? Wir sind frei von jeder Parteilichkeit und vollkommen ohne Anhaftung. Wer bereit ist, dem geben wir alles.

Worüber meditierst du während der Meditation? Was ist dein Ziel? Und wer ist es, der da meditiert? Worüber willst du meditieren, wenn du kein bestimmtes Ziel hast? Meditation ist ein Mittel, um Ziele zu erreichen. Deshalb kann sie nur wahrhaft erfolgreich sein, wenn das reine Selbst das Ziel ist, und das reine Selbst der Meditierende ist. Welcher Nutzen wäre es, wenn du „Ich bin Max!“ meditierst und deine eingebildete Max-Person das Ziel ist, um das wahre Selbst zu erreichen? Wohin soll das führen? Wenn wir dir die Erkenntnis geben, wirst du zum wahren Meditierenden und erkennst das reine Selbst. Dann werden Meditation, Ziel und Meditierender ein Ganzes. Nur wenn das Selbst als reines Selbst verweilt, kann wahre Befreiung sein. Ansonsten sitzt du zwar in Meditation, aber kämpfst gegen die Gedanken über Sex oder deine Steuerzahlung. Denn sobald du zur Ruhe kommst, werden die Gedanken erscheinen, auch wenn du dir lieber die Glückseligkeit wünschst. Wie kannst du das Meditieren nennen?

Es gab einen reichen Geschäftsmann, der saß Zuhause in Meditation, und jemand fragte an der Tür nach ihm. Da antwortete seine Ehefrau: „Er ist auf die Müllhalde gegangen, wo all der Abfall und Dreck liegt.“ Und als ihr Mann diese Worte hörte, verneigte er sich innerlich vor seiner Frau. Denn in Wirklichkeit war er gerade in grobsinnige Gedanken versunken gewesen.

Wenn die Meditation auf rechte Weise geübt wird, hat sie unvergleichliche Kraft. Werde dir bewusst, was Meditation bedeutet! Sobald du dich für ein Ziel entschieden hast, wirst du zum Meditierenden. Und die Verbindung von Ziel und Meditierendem nennt man Meditation. Denn Meditieren bedeutet, dich selbst mit einem Ziel zu verbinden. Wenn du zum Beispiel längere Zeit auf eine Tabak-Pfeife in einem Schaufenster blickst und dich schließlich entscheidest, dass du sie haben willst. Dann ist die Pfeife dein Ziel, und du bist der Meditierende. Wenn du über diese Pfeife fünfzig Minuten ununterbrochen meditierst und in dieser Zeit nicht vom Ziel abschweifst, dann wirst du schließlich die Pfeife in deiner Hand sehen. Wie geschieht das? Das kannst du nicht anders erklären als mit der Kraft der Meditation. Wenn die Meditation auf rechte Weise ausgeführt wird, ist das Erreichen des Zieles sicher. Wie könnte man auch zum Ziel gelangen, wenn der Weg falsch ist? Deshalb ist es sogar möglich, das Höchste Selbst durch Meditation zu erreichen. So mächtig kann Meditation sein, wenn man weiß, wie sie funktioniert. Wenn dir dieser ‚Dada‘ in fünfzig Minuten die unvergleichliche Göttlichkeit geben kann, was wäre noch zu wünschen übrig? Wenn du acht Minuten ununterbrochen meditierst, dann beginnt es, dir Nutzen zu bringen, der sich bis zu diesem 50 Minuten-Nutzen steigern lässt. Aber acht Minuten sollten es zumindest sein. Sieben sind so gut wie nichts.

Fragender: Kann man durch Meditation das grenzenlose Sehen und Erkennen als die Eigenschaft des reinen Selbst erreichen?

Dadaji: Ja sicherlich, warum nicht? Soweit du Eigenschaften kennst, soweit kannst du darüber meditieren und sie erreichen. Was meinst du, ist ‚Gott‘ (Bhagwan) ein Name oder eine Eigenschaft?

Fragender: Naja, es ist ein Name.

Dadaji: Wenn es ein Name wäre, dann sollten wir voller Respekt ‚Sehr geehrter Herr Gott‘ zu ihm sagen. Doch in Wirklichkeit ist ‚Gott‘ eine Eigenschaft (über die man meditieren kann). Genauso wie die Eigenschaft ‚glücklich‘ von ‚Glück‘ abgeleitet wird. Wer die göttliche Eigenschaft erreicht, qualifiziert sich für den Namen ‚Gott‘. Daher sagen die Leute ‚Gott‘ zu uns, aber in Wahrheit sind wir jenseits aller Eigenschaften. Welche Eigenschaft könntest du uns zuschreiben? Du würdest doch nur diesen Körper treffen, aber der wird eines Tages vergehen. Im Inneren ist das Höchste Selbst verkörpert, das reine Licht (bzw. Bewusstsein).

Das Höchste Selbst ist reine Erkenntnis. Das ‚Selbst‘ ist nur ein Wort, und es dient als Zeiger auf das Wahre. Deswegen ist das Höchste Selbst die reine Erkenntnis. Es ist diese Erkenntnis, die alles antreibt, bis die reine Sicht der wahren Erkenntnis erreicht ist. Deshalb kann Befreiung auch nur durch reine Erkenntnis erreicht werden. Ansonsten entsteht durch heilsame Sicht Glück und durch unheilsame Sicht Leiden. Über die reine Erkenntnis gibt es keinen Herrscher. Wen könnte man also ‚Gott‘ nennen? Wer vollkommen befreit ist, ist Gott. Für ihn gibt es weder einen Über- noch Untergeordneten. Solange du diese Abhängigkeit nicht verstehst, wie könntest du die Befreiung verstehen? Die Welt ist wie ein großes Museum der Abhängigkeiten, und Abhängigkeiten bedeuten Leid. Sie entstehen, weil der Mensch sein wahres Selbst nicht kennt.

Es gibt in der Welt so viele Wege wie es auch Gedanken gibt. Fühle dich frei, überall umherzuwandern, und wenn du davon müde bist und Erlösung suchst, dann komm auf diesen Weg der Befreiung. Ach Mensch, das weltliche Leben ist nicht falsch. Es gibt dort nichts Falsches, außer deiner Unwissenheit. Sie ist eine ständige Gefahr und erzeugt jeden Moment weltliche Abhängigkeit. Nur deswegen bist du immer so besorgt.

Es gibt Leute, die machen anderen viel Angst, indem sie ständig mit dem Tod drohen. Sie malen ihn wie ein schreckliches Gespenst, einen grimmigen Stier oder einen Dämon mit langen Zähnen und erschrecken die Leute damit. So ein Unsinn! Es gibt keine Kreatur namens ‚Tod‘. Der Tod ist ein Gesetz der Natur. Alles folgt dieser natürlichen Ordnung. Diese Ordnung bewegt alles. Sie diktiert unsere Geburt, unser Leben und unseren Tod. Wer würde sich noch ängstigen, wenn er dies wahrhaft erkannt hat?

Es ist, als würdest du durch einen Wald gehen, wo man dir versichert hat, dass dort keine wilden Tiger und Löwen leben. Aber sie haben vergessen, dir zu sagen, dass es dort ein Gehege mit Löwen gibt. Und wenn du dann im Wald plötzlich ein Löwengebrüll hörst, dann bekommst du große Angst und fliehst panisch davon. Hättest du gewusst, dass diese Löwen eingesperrt sind, dann hättest du sicherlich keine Angst gehabt. So bist du nur wegen deiner Unwissenheit geflohen. In gleicher Weise kannst du auch in der Welt deine Probleme nicht lösen, solange du in Unwissenheit lebst. Nur wegen deiner Unwissenheit hast du so viel Angst und bist fast ständig auf der Flucht.

146. Der Guru-Schlüssel

Der Herr (Lord Mahavir) sprach: „Werde kein Guru (spiritueller Lehrer), wenn aber doch, dann bewahre immer den Generalschlüssel! Ansonsten wirst du geistig versinken, je mehr der Ego-Rausch zunimmt, ein Guru zu sein.“ Der Herr versank niemals in diesem Guru-Rausch, aber heute findet man sie überall. Manche lassen die Last von Frau und Kindern hinter sich, um sich die Last von fünfhundert Schülern aufzuladen. Und mit dieser Last versinken diese Narren im Wahn.

Guru kann (als Eigenschaftswort) auch ‚schwer‘ bedeuten. Wer persönlich zu schwer ist, wird versinken, und alle, die sich an ihm festhalten, werden mit versinken. Diesbezüglich sind wir ganz leicht, leichter geht es nicht. So werden wir nicht versinken und können auch niemanden mit hinabziehen. Wir sind so leicht wie Blüten, die auf dem Ozean des Lebens schwimmen und anderen helfen, ebenso zu schwimmen, um den Ozean zu überqueren. Nur weil wir so leicht schwimmen können, haben wir die Kraft, uns selbst und andere zu retten.

Der Herr sprach weiterhin: „Wenn du Schüler annimmst und ein Guru wirst, dann bringt dies große Verantwortung und Risiken mit sich. Wem das nicht ständig bewusst ist, den wird der Fluch treffen.“ Wenn du ein Guru wirst, dann brauchst du den Generalschlüssel des erleuchteten Geistes. Nur dann kannst du als Guru anderen wirklich helfen. Ansonsten wird mit diesem Status dein Ego-Wahn immer schwerer werden. Denn der Guru-Status trägt schwere Verantwortung.

Einst kamen fünf oder sechs Gurus zu mir und fragten mich: „Brauchen die Leute einen Guru, oder nicht?“ Und ich sprach: Natürlich, sie brauchen einen Guru. Aber nur wahre Gurus sind hilfreich. Ansonsten bedeutet Guru ‚schwer sein‘, und was schwer ist, das versinkt und zieht andere mit hinab. Wir sind die Demütigsten in allen Angelegenheiten der äußeren Welt und die Höchsten im Geiste der inneren Welt. Wir würden niemals in der Welt zum Guru werden, um uns über andere zu stellen. Nur wer im Weltlichen klein ist, kann im Geistigen groß sein. Denn wer als Guru nicht völlig demütig ist, der wird versinken und andere mit hinabziehen.

Die wahre Erkenntnis ist jenseits der Reichweite aller Gedanken. Man kann diese Erkenntnis nicht mit Gewalt erlangen. Wahre Erkenntnis ist ein Geschenk, das wir geben. Deshalb besitzen gewöhnliche Leute zwar weltliches, rationales Wissen, aber keine wahre Erkenntnis. Was will man also von einem Guru erwarten, der keine wahre Erkenntnis hat und den Süden mit dem Norden verwechselt? Was nur ein Wissen der Worte ist, kann keinen wahren Erfolg bringen. Es gleicht einem Baum, der viele Blüten treibt, aber keine Früchte bringt. Ja, so seltsam ist unsere Zeit, denn gerade dieses Wissen ist überall höchst populär.

147. Natürlicher und außerordentlicher Pfad

Auf dem natürlichen Pfad gibt es die begriffliche Unterscheidung der weltlichen Sprache zwischen dem Wahren (reinen Selbst) und dem Relativen (der künstlichen Person). Das ist für das gewöhnliche Verständnis gut und sinnvoll. Aber in der wahren Dharma-Erkenntnis auf unserem außerordentlichen Pfad sehen wir zuerst das Wahre, und daraus entsteht das Relative. Das heißt, im Grunde wird das wahre Selbst erkannt, und danach beginnt sich die relative Person (bis zur Befreiung) zu entladen und aufzulösen. Dann wird in dieser ‚Selbst-Person Beziehung‘ die wahre Erkenntnis über alle weltlichen Angelegenheiten und Regeln herrschen, unabhängig von Kasten, Rassen, Rollen, Status oder sonstigen Umständen. Diese erleuchtete Gegenwärtigkeit löst alle Konflikte und Gegensätze in der Welt. Das heißt, nach der wahren Selbsterkenntnis wird das ganze weltliche Leben wahrhaftig und entlädt sich (auf dem Weg zur Befreiung). Und diese Erkenntnis bleibt in allen Situationen erhalten und wird zur Lösung aller Probleme.

148. Welt und Erkenntnis

Das Selbst erhebt die Person. Wenn aber die körperliche Last der Person immer schwerer wird, dann lässt sie das Selbst in niedere Welten sinken. In unserem dunklen Kali-Zeitalter sollten die Religionen folgendes unterrichten: „Mein Freund, wenn es dich zu Gewalt oder Diebstahl zieht, dann vernichte diese Gefühle, um nicht in niedere Welten zu sinken. Lösche all diese tierischen und dämonischen Gedanken in dir! Dann wird dich das Selbst durch sein inneres Wesen in höhere Bereiche erheben.“

Das wird den Frieden vermehren und Heilsames bringen. Trotzdem hegen die Leute ständig solche Gedanken der Gewalt und Sünde, und verstärken damit den dichten Schleier ihrer Unwissenheit, der das wahre Selbst verhüllt. Wer nur seine eigennützigen Interessen in dieser Welt verfolgt, der hegt ein tierisches und dämonisches Wesen. Es ist möglich, all diese Neigungen zu löschen, wie man auch ein Tonband löschen kann. Jeder Gedanke kann durch Reinigung gelöscht werden, bevor er sich verwirklicht. Deswegen sagen wir: „Einfach nur reinigen!“

Erkenntnis ist nur ein anderer Name für das Selbst. Wie deine Erkenntnis ist, so ist dein Selbst. Wenn die Erkenntnis eingebildet und unrein ist, dann ist auch das Selbst eingebildet und unrein. Das Selbst wird zu der Erkenntnis, woran man seinen Glauben heftet. Wenn du an etwas glaubst, dann findest du auch die unterstützende Erkenntnis dafür. Und wenn Glaube und Erkenntnis zusammenkommen, dann resultiert daraus ein entsprechendes Verhalten, und dementsprechend bildet sich das Selbst.

Angenommen, eine Schwiegermutter bezeichnet ihre Schwiegertochter als verrückt. Solange sie nicht an diese Worte glaubt, bleibt sie davon unberührt. Auch wenn sie von der ganzen Welt als verrückt beschimpft wird, es würde sie nicht berühren. Aber wenn sich ihr Glaube ändert, dann könnte sie wirklich verrückt werden. Deshalb bewahre deinen Glauben in dieser Welt, und lass dich nicht verrückt machen! Denn was auch immer du dir einbildest und auflädst, das wird an deinem Selbst haften.

Fragender: Was ist der Unterschied zwischen Glaube und Erkenntnis?

Dadaji: Glaube ist unklares Wissen, und Erkenntnis ist klares Wissen bzw. direkte Erfahrung. Wenn wir zum Beispiel in einem Garten sitzen würden und ein Geräusch hören, dann würden wir beide unsere Vermutung äußern, was es sein könnte. Welche Art des Wissens ist das? Es ist Glaube. Dann würden wir dorthin gehen, von wo das Geräusch kam, um festzustellen, dass es eine Kuh ist. Das wäre klares Wissen oder direkte Erkenntnis. Glaube kann sich als Illusion herausstellen, direkte Erkenntnis nicht. Gewöhnliches Wissen ist Glaube, und klares Wissen ist Erkenntnis.

Woher hat der Taschendieb die Fähigkeit, aus Taschen zu stehlen? Zuerst entstand der Glaube in ihm, dass er es tun kann, dann sammelte er das Wissen an, wie man stiehlt, und schließlich folgte daraus automatisch sein Verhalten. Denn die Frucht von Glaube und Erkenntnis ist das Verhalten im Handeln. ‚Normal‘ würde hier wahrhaft, authentisch und rein bedeuten. Aus wahrer Erkenntnis zusammen mit wahrhaftem Glauben entsteht wahrhaftes Verhalten. Das ist das vollkommen normale Verhalten im Handeln, sozusagen das reine und göttliche Handeln, das niemanden verletzt.

Glaube, Erkenntnis und Verhalten sind gegenseitig abhängig. Das Wissen, das man sich aneignet, basiert auf dem persönlichen Glauben, und daraus folgt das persönliche Verhalten wie von selbst, ohne besondere Anstrengung. Dieses persönliche Handeln ist keine Eigenschaft des reinen Selbst. Das reine Selbst hat nur innere Eigenschaften und keine äußeren wie das Handeln. Das ist eine Frage der Einbildung. Wie die Einbildung ist, so ist deine Wahrnehmung im Leben. Auch Glück und Leiden sind nichts anderes als Einbildung. Solche wunderbare Schöpferkraft hat das Selbst und bleibt doch in Wahrheit völlig unbeeindruckt davon. Nur weil dieses Selbst stets gegenwärtig ist, können alle Handlungen in der Welt gesehen und erkannt werden.

Gott sagt, dass jede Handlung mit ihrer jeweiligen Frucht belohnt wird. Und wahre Befreiung geschieht durch das Handeln, das nicht an der Frucht haftet. Diese Befreiung ist nur durch höchste Demut möglich. Alles andere ist persönliche Verstrickung, ohne ein Ende zu erreichen, wohin du auch gehst. Sie verfolgt dich im weltlichen Leben genauso, wie in der einsamen Meditationshöhle im Himalaya.

Die Leute lieben religiöse Pflichten und Rituale. Aber was bringen diese Rituale ohne Erkenntnis? Die Rituale sollten stets der Erkenntnis dienen. Der Herr sprach: „Befreiung ist durch die Verbindung von Erkenntnis und Ritual erreichbar.“ Was ist Erkenntnis-Ritual? Es bedeutet die Erkenntnis, im reinen Selbst zu sein. Das Sehen-Ritual ist das Sehen, und das Erkenntnis-Ritual ist das Erkennen. Denn Sehen und Erkennen ist das Wesen des Selbst, und nur das Selbst hat diese Eigenschaft. Alle anderen Rituale beziehen sich auf äußere Dinge.

Dadaji: Ist das Selbst vom Körper getrennt, oder nicht?

Fragender: Ich denke, das Selbst ist vom Körper getrennt.

Dadaji: Und wer bewegt dann diesen Körper? Alles geschieht mithilfe der natürlichen Ordnung von Ursache und Wirkung. Alles, was du tust, geschieht in Wahrheit durch diese natürliche Ordnung. Das reine Selbst ist vollkommen frei vom Handeln. Das reine Selbst ist allein der erkennende Seher von allen Geschehnissen. Der rein Erkennende ist nicht der persönlich Handelnde, und der persönlich Handelnde ist kein rein Erkennender. Wenn du eine Maschine fragst, wie sie funktioniert, dann bleibt sie stumm, denn sie erkennt es nicht. Auch diese Glühbirne hier, sie gibt uns Licht, ohne dass sie es erkennt. Oder wenn du mit einem Schiff ein Meer überquerst und das andere Ufer erreichst: War es das Schiff, das dich zum anderen Ufer gebracht hat, oder hast du das Schiff zum anderen Ufer gebracht? Du warst der Erkennende, und das Schiff hat dich dorthin gebracht. Das ist der Unterschied zwischen dem Erkennendem und dem Handelnden. Sobald eine Person glaubt, dass sie persönlich handelt, dann vermischen sich diese beiden Ströme zu einem Brei, der dir dann wie scharfes Curry schmeckt. Doch in Wahrheit ist der Strom der Erkenntnis vom Strom der Handlungen vollkommen unabhängig.

Reine Erkenntnis ist ohne persönliches Handeln, und persönliches Handeln ist ohne reine Erkenntnis. Das liegt daran, weil das persönliche Handeln bestimmte Umstände benötigt, aber die reine Erkenntnis nicht. Um etwas Bestimmtes zu tun, müssen die nötigen Umstände zusammenkommen, denn nichts geschieht unabhängig.

149. Weisheit

Weisheit ist ein direktes Licht des Selbst, während Intellekt das indirekte Licht durch das Ego-Medium ist. Weisheit ist ein Teil bzw. eine Form der reinen Erkenntnis, quasi ein Synonym dafür. Wie sich die Schleier der Unwissenheit über dem Selbst auflösen, so wächst nach und nach das innere Licht bis zur vollkommenen Erleuchtung. Wenn dieses Licht 360° erreicht hat (und den Kreis des Wissens schließt), dann spricht man auch von Allwissenheit.

Wenn du eine 1.000 Watt Glühbirne in einen Tontopf steckst und den Deckel dicht verschließt, würdest du dann das Licht sehen? Nein, und genau so geht es dem unwissenden Selbst. In dir ist das unendliche Licht der reinen Erkenntnis, aber Dunkelheit herrscht wegen der dichten Schichten über dem Selbst. Wenn durch den Segen und die Fähigkeit des Erleuchtungsgeistes auch nur ein kleines Loch im irdenen Topf entsteht, wird sich der Raum mit Licht füllen. Und je mehr diese irdene Hülle zerbricht, je mehr Licht erstrahlt. Und wenn schließlich der ganze Topf zerbrochen ist, dann erstrahlt überall das vollkommene Licht und jeder Schatten verschwindet.

Dieses direkte Licht der reinen Erkenntnis heißt Weisheit. Wenn das Selbst von allen bedeckenden Schleiern befreit wird, kann es das ganze Universum erleuchten. Oder anders gesagt, im Licht dieses alleserkennenden Sehers erscheint das ganze Wissen mit allen erkennbaren Objekten des Universums. Das ist die Allwissenheit, die Macht des Selbst, die das ganze Universum mit Licht (bzw. Bewusstsein) erleuchtet.

Was ist die Funktion der Weisheit? Die Weisheit gleicht einer liebenden Ehefrau, die ihrem Mann auf ewig treu ist. Sie zeigt dir das Heilsame, und beschützt dich vor dem Unheilsamen. Sie lässt dich unter allen Umständen gleichmütig sein und alle Probleme mit Gelassenheit lösen, um dann zum reinen Selbst zurückzukehren. So arbeitet die Weisheit äußerlich und innerlich wie eine Übergangsregierung, bis die wahre und vollkommen unabhängige Regierung wieder herrscht.

Was ist Weisheit? Weisheit verhindert, dass sich das Selbst mit fremden Dingen verbindet bzw. verunreinigt und verhindert damit, dass du dich selbst in fremden Dingen verlierst. Sie ist ein untrennbarer Teil des Selbst und arbeitet beständig auf die große Befreiung hin. Wie sich diese Weisheit entwickelt, so verändert sich auch dein Verhalten. Und je reiner dein Verhalten wird, desto leichter wird deine persönliche Last. Die Weisheit hält deinen heimatlichen Bereich vom fremden Bereich getrennt. Sie ist wahres Selbst und vollkommen normales Verhalten, so dass sich dein Selbst nicht mehr mit ‚Fremdem‘ vermischt.

Die Erkenntnis, die wir dir geben, ist eine direkte Erkenntnis des Selbst, ein direktes Licht (bzw. Bewusstsein), mit dem die Weisheit in dir entsteht. Alles andere in der Welt ist vergänglich, unzuverlässig und flüchtig, während diese Weisheit ein Teil von dem ist, was ewig besteht. Mit dieser Weisheit musst du nicht mehr Stufe für Stufe die Wege der Natur gehen, denn sie kann dich direkt und unvermittelt erheben. Alle anderen Gefühle und Wünsche außer dieser Weisheit sind vergänglich. Die Weisheit steht über den Gegensätzen, aber ist trotzdem noch keine wahre Selbsterkenntnis, und sollte auch damit nicht verwechselt werden. Die Weisheit selbst ist beständig und unvergänglich, hat aber doch ein Ende, wenn die wahre Selbsterkenntnis erreicht wird. Deshalb sollte man beide noch unterscheiden. Wenn du die Weisheit mit der Selbsterkenntnis gleichsetzt, dann würde sie eine untrennbare Eigenschaft des Selbst, und auch die vollkommen Befreiten wären noch davon abhängig. Aber das kann nicht sein. Denn vollkommene Befreiung benötigt auch keine Weisheit mehr. Sobald die völlig unabhängige Regierung die Herrschaft übernimmt, dann verschwindet die Übergangsregierung, und so geschieht es auch mit der Weisheit.

Wenn wir die Erkenntnis geben, dann erwecken wir in dir die Weisheit, die dich jeden Moment in die Gegenwärtigkeit ruft. König Bharat musste dafür viele Diener beschäftigen, die ihn über vierundzwanzig Stunden daran erinnerten. Wann immer ein problematischer Umstand erscheint, wird unsere Erkenntnis bei dir sein, werden unsere Worte bei dir sein, und auch wir selbst werden bei dir sein, um dich in die Gegenwärtigkeit des Selbst zu rufen. Unsere außerordentliche Erkenntnis wird dich jeden Moment wachhalten. Das ist deine Chance, die du nutzen solltest. Wenn diese verlorene Verbindung mit uns wiederhergestellt ist (und die Trennung von ‚Ich‘ und ‚Andere‘ verschwindet), dann bringt es eine dauerhafte Lösung für alle Probleme.

Schau, es gibt zwei Ebenen in diesem Körper. Die eine ist vergänglich, und die andere ist ewig. Die ewige ist das Selbst. Wenn du mit der gleichen Achtsamkeit und Hingabe wie in deinem Arbeitsleben auch das ewige Selbst suchen würdest, wäre dieses große Werk bald vollbracht. Aber wie? Du kannst mit deinem Geist alle weltlichen Objekte erfassen, aber wie könntest du damit das Selbst erfassen? Das reine Selbst ist ein objektloses Wissen, jenseits aller Ansichten und der Reichweite der fünf Sinne, rein und unberührbar. Dafür braucht man den Erleuchtungsgeist.

Er ist wie ein Goldschmied, der sich nicht über verunreinigtes Gold beschwert, das du zu ihm bringst. Denn er sieht darin bereits das reine Gold. Die Leute ärgern sich vielleicht über Unreinheiten, aber nicht der Goldschmied, der das reine Gold darin erkennen kann. Selbst ein Arzt könnte seine Patienten tadeln und fragen: „Warum hast du deine Gesundheit ruiniert?“ Aber der Goldschmied sieht das völlig gelassen. Und wie der Goldschmied in jedem Goldgemisch das reine Gold sieht, so sieht der Erleuchtungsgeist in allen das reine Selbst, denn er schaut nicht auf die äußeren Eigenschaften des eingebildeten Selbst. Die Erscheinung des Goldes kann ganz unterschiedlich sein, vermischt, pulverisiert, flüssig oder auch rein, doch Gold bleibt Gold, unabhängig vom Wandel der Umstände. Wenn du das reine Selbst in allen erkennst, wie der Goldschmied das reine Gold, dann wirst du das große Werk vollbringen. Der Goldschmied konzentriert sich nur auf das reine Gold, und die äußeren Erscheinungen, wie kunstvoll, schön oder hässlich sie auch sein mögen, sind für ihn etwas Vergängliches und Wandelbares. In gleicher Weise schaut der Erleuchtungsgeist nur auf das reine Bewusstsein.

Man mag alle Schriften lesen, aber was man versteht, das entspricht immer nur dem eigenen Geist. Die Leute ergreifen die Worte nach ihrem jeweiligen Verständnis. So hat auch jeder eine andere Vorstellung von dem, was ein Lebewesen und das Selbst ist. Glaubst du an das Unbelebte? Wenn du das Unbelebte nicht durchschaust, wie kannst du dann das Lebendige erkennen? Selbst viele Schüler, die einst um Lord Mahavir saßen, waren sich des wahren Selbst nicht bewusst. Die Leute hatten vielleicht eine begriffliche Vorstellung aufgrund von Worten, aber solche Vorstellungen sind wandelbar und vergänglich. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einer begrifflichen Beschreibung des Selbst und der unmittelbaren Erkenntnis des Selbst. Die vielfältigen Worte und Begriffe mag man alle vergessen, nur die unmittelbare Sicht bleibt ewig. Das ist die Glückseligkeit unserer großen Seelen, das reine Brahman (bzw. Selbst) unmittelbar zu sehen.

Gäbe es keine Umstände, dann gäbe es auch keinen Weg der weltlichen Entwicklung. Die Umstände verursachen eine Veränderung des Glaubens, und daraus entsteht die künstliche Person (das eingebildete Selbst) als vermeintliche Entität mit den zahllosen Hindernissen, die das Wahre verdecken. Deshalb kann das Selbst nur befreit werden, wenn diese künstliche Person mit allen Hindernissen (die das reine Selbst verhüllen) Schicht für Schicht abgebaut wird, so wie sie auch aufgebaut wurde. Dafür ist der Erleuchtungsgeist der Gipfel der weltlichen Entwicklung, das letzte Werkzeug auf dem Weg zur höchsten Befreiung.

Jay Sat Chit Ananda! - Sieg der ewigen Glückseligkeit des reinen Bewusstseins!

 


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