Pushpak Vishnu PuranaZurück WeiterNews

3.9. Die vier Lebensweisen

Der Heilige Aurva fuhr fort:
Nachdem ein Jugendlicher mit der Schnur seiner Kaste initiiert worden ist, sollte er im Haus seines Lehrers mit aufmerksamem Geist die Veden fleißig studieren und ein enthaltsames, keusches Leben (als Brahmacharya) führen. Er sollte voller Hingabe seinem geistigen Lehrer dienen und durch regelmäßige Reinigungsriten die Veden erwerben. Er sollte am Morgen zuerst die Sonne verehren und am Abend das Feuer, nachdem er sich vor seinem Lehrer respektvoll verneigt hat. Er sollte sich erheben, wenn sich sein Lehrer erhebt, gehen, wenn er geht, sitzen, wenn er sitzt, und auch in anderen Dingen immer seinem Lehrer folgen und nie gegen ihn handeln. Welchen Teil der Veden auch immer der Lehrer zum Lesen gibt, er sollte ihn mit ungeteilter Aufmerksamkeit in seiner Anwesenheit lesen. Er sollte um Almosen betteln gehen, wenn es sein Lehrer gebietet, und vom Gegebenen leben. Er sollte in dem Wasser baden, worin sich auch sein Lehrer reinigt, und jeden Morgen Holz und Wasser holen und was sonst noch nötig ist.

Wenn der Schüler sein Studium der Schriften beendet und die Erlaubnis von seinem Lehrer erhalten hat, dann sollte der Zweifachgeborene in die Lebensweise das Hausvaters (Grihastas) übergehen und sich auf vorgeschriebene Weise um Haus, Ehefrau und Wohlstand kümmern. Er sollte nach besten Kräften die Aufgaben dieser Lebensweise erfüllen, die Ahnen mit Ahnenopfern befriedigen, die Götter mit Opfergaben, die Gäste mit Gastfreundschaft, die Weisen mit dem Studium der heiligen Schriften, die Stammväter der Menschheit mit Nachkommenschaft, die Geister mit Opferresten und die ganze Welt mit Wahrhaftigkeit. Durch die pflichtgetreue Erfüllung dieser Aufgaben sichert sich der Hausvater den Himmel. Denn die Hausväter sind die Zuflucht für all jene, die von Almosen leben und ein entsagungsreiches Leben der Selbstlosigkeit führen. Diese Asketen und Mönche wandern über die Erde, um Entsagung zu üben, die Veden zu erfahren und sich an den heiligen Pilgerorten zu reinigen. Sie sind ohne Heimat, ohne Lebenserwerb und ruhen dort, wo die Nacht über ihnen hereinbricht. Der Hausvater sei ihnen eine verläßliche Zuflucht wie Vater und Mutter. Es ist seine Aufgabe, sie als Gäste willkommen zu heißen, sie mit Güte anzusprechen und zu jeder Zeit in seinem Haus mit Bett, Sitz und Nahrung zu versorgen. Denn ein müder Gast, der von einem Hausvater abgewiesen wird und weitergehen muß, hinterläßt ihm all seine Sünden und trägt dessen religiöses Verdienst davon. Im Haus eines guten Mannes werden Beleidigung, Arroganz, Heuchelei, Faulheit, Streit und Gewalt beständig vernichtet. So wird der Hausvater, der seine Aufgaben erfüllt und vor allem die Gastfreundschaft bewahrt, von jeder leidenschaftlichen Fessel befreit und steigt nach dem Tode in höhere Bereiche auf.

Wenn der Hausvater nach Erfüllung aller Aufgaben seiner Lebensweise in die Jahre kommt, dann sollte er seine Ehefrau der Sorge seiner Söhne übergeben und selbst als Einsiedler in die Wälder ziehen. Dort sollte er von Blättern, Wurzeln und Früchten leben, Haare und Bart wachsen lassen und zu verfilzten Locken flechten. Er sollte auf der Erde schlafen, Kleidung aus Tierhäuten, Gras oder Rinde tragen und dreimal am Tag seine Waschungen ausführen. Er sollte den Göttern und dem Feuer opfern, alle Besucher mit Gastfreundschaft empfangen, von Almosen leben und seine Speise allen Wesen widmen. Er sollte sich mit solchen Salben einschmieren, die ihm die Wälder gewähren, und während seiner Askeseübungen Hitze und Kälte ertragen. Der Weise, der beständig diesen Regeln der Lebensweise eines Waldeinsiedlers (Vanaprastha) folgt, verbrennt wie im Feuer alle Unvollkommenheiten und erreicht die ewigen Regionen des Brahman.

Die vierte Lebensweise ist der besitzlose Bettelmönch (Sannyasin). Höre auch über diese Art, oh König. Der leidenschaftslose Mann sollte jegliche Anhaftung an Ehefrau, Kinder und Besitz aufgeben und diese vierte Lebensweise annehmen. Er sollte die ersten drei Lebensziele der menschlichen Existenz (Gerechtigkeit, Wohlstand und Vergnügen bzw. Dharma, Artha und Kama) hinter sich lassen, sei es in weltlicher oder religiöser Richtung, und voller Gleichmut und Einsicht zum Freund aller Wesen werden. Er sollte in Gedanken, Worten und Taten keine Wesen verletzen und jegliche Anhaftung überwinden. Deshalb sollte er nicht länger als eine Nacht in einem Dorf oder fünf Nächte in einer Stadt verweilen, so daß sich das allumfassende Mitgefühl und die große Harmlosigkeit entfalten können. Er sollte für seinen Lebenserwerb in den Häusern der drei höheren Kasten um Almosen bitten, aber erst, wenn die Herdfeuer erloschen sind und die Bewohner gegessen haben. So sollte der besitzlose Bettelmönch nichts sein Eigen nennen und alle Wünsche, eigensinnigen Stolz, Begierde, Haß und Unwissenheit überwinden. Der Heilige, der keinem Wesen einen Grund zur Furcht gibt, braucht auch keinerlei Gefahr von ihnen zu befürchten. So sollte er das Opferfeuer in sich selbst entzünden, dessen lebendige Flammen mit den gesammelten Almosen als Opferbutter auf dem Altar seines Körpers genährt werden. Auf diesem Weg erreicht er seine wahre Heimat. Der Zweifachgeborene, der wahre Befreiung sucht, ein reines Herz hat und einen durch Selbsterkenntnis vollkommenen Geist, erreicht die zeitlose Stille des Brahman wie eine helle, rauchlose Flamme.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter