Pushpak Shiva-Purana Buch 4Zurück WeiterNews

Kapitel 19 - Shivas Spiel

Brahma fuhr fort:
Nachdem Daksha Shiva und die Gäste beschenkt und seiner Tochter einiges an Mitgift übergeben hatte, stand Vishnu auf. Er trat vor Shiva hin, faltete seine Hände in Ehrfurcht, und mit Lakshmi an seiner Seite sprach er zum großen Gott:
Oh Ozean des Mitgefühls, großer Herr, du Führer der Götter, du bist der Vater und Sati ist die Mutter des Universums. Deine Inkarnation hast du aus reinem Vergnügen für das Wohl der Wesen genommen, um die Guten zu erhöhen und die Unheilsamen zu unterdrücken - so sagen es die ewigen Schriften. Dein Antlitz ist schön, und edel strahlt auch Sati in blauem Schimmer. Ich dagegen habe einen blauen Teint, während Lakshmi die Schöne ist. So sind wir beiden Paare eng verbunden. Oh Shiva und Sati, beschützt die Menschen und Götter und gewährt ihnen Segen. Oh Herr der lebenden Wesen, dies ist meine demütige Bitte, vernichte den Menschen, wer immer er auch sein mag, der sie nur voller Begierde in seinem Geist anhört oder ansieht.

Da lachte der allwissende Shiva laut auf und sprach:
So sei es.

Dies bewahrte Vishnu in seinem Inneren verborgen und verließ das Fest, bat aber alle Anwesenden, die Feierlichkeiten weiterzuführen. So trat ich vor Sati hin und führte in allen Einzelheiten die heiligen Riten aus, die in den Schriften beschrieben werden. Dann umrundeten die Brautleute das heilige Feuer, während ringsum die Trommeln dröhnten und die Musiker spielten. Tanz und Gesang vermehrten noch das Glück der Gäste.

Doch dann geschah etwas Seltsames. Höre mein Lieber, ich werde es dir erzählen. Shivas Macht der Illusion ist unergründlich. Sie täuscht das ganze Universum, lebende und unbewegliche Wesen, Götter und Dämonen. Einst hatte ich den Wunsch, Shiva mit Tricks zu täuschen. Doch nun täuschte Shiva mich in seinem himmlischen Spiel. Wenn man jemandem Übles wünscht, dann wird man selbst das Übel erfahren. Daran gibt es keinen Zweifel. Und wer das erkennt, sollte niemals irgend jemandem Übles wünschen.

Nun, oh Narada, als Sati um das Feuer schritt, da konnte ich ihre Füße sehen, die nicht länger von ihren Kleidern bedeckt wurden. Und ich erstarrte. Begehren erfüllte meinen Geist, und ich starrte auf ihre Füße, völlig verwirrt von Shivas Maya. Je länger ich ihre schönen Füße anstarrte, desto mehr wollte ich nun auch ihr Gesicht sehen. Kama hatte mich wohl ganz in seiner Gewalt, ich zitterte, doch Sati verbarg keusch und schüchtern ihr Antlitz vor der Menge. Sofort erdachte ich einen Plan, um ihr Gesicht zu schauen. Ich goß nur wenig geklärte Butter ins Feuer und warf dafür viel nasse Zweige hinein, damit reichlich Rauch aufstieg. Der ganze rituelle Platz (der Hochzeit) verdunkelte sich und Shiva, dieser Meister im himmlischen Spiel, bedeckte schützend seine Augen. Und ich, im Innersten erregt und von Begierde getrieben, lüftete Satis Schleier und starrte ihr ins Gesicht. Ich starrte und starrte und war unfähig, den Ansturm meiner Sinnesfreuden zu zügeln. Es fielen vier Tropfen meines Samens zu Boden, so leicht wie Tau, und ließen mich stumm erstarren. Erst war ich überrascht, dann beschämt, und schnell versteckte ich die Tropfen, damit niemand sie entdecken würde. Doch Lord Shiva mit der göttlichen Schau sah alles, und als der Samen zu Boden tröpfelte, wurde er zornig.

Shiva sprach:
Oh sündiger Lump, welch verachtenswertes Fiasko hast du angestellt? Während unserer Heirat hast du lustvoll auf meine Braut gestiert. Du hofftest wohl, daß dein Vergehen mir entgehen würde. Doch mir ist nichts unbekannt in den drei Welten. Warum, oh Brahma, hast du versucht, es zu verbergen? Du Narr und Tölpel, wie das Öl im Sesamsamen enthalten ist, so bin ich in allen Dingen des Universums enthalten.

Nach diesen Worten gedachte Lord Shiva des Versprechens, welches er Vishnu in aller Liebe gegeben hatte, erhob seinen Dreizack und wollte mich vernichten. Da erhoben Marichi und meine anderen Söhne ein lautes Geschrei. Auch die Götter und himmlischen Weisen waren zutiefst alarmiert und begannen sofort, den zürnenden Gott mit Lob zu besänftigen.

Die Götter riefen:
Oh Herr, großer Herr, der du immer den Zufluchtsuchenden wohlwollend Hilfe gewährst, oh Shiva, rette uns. Sei gnädig, oh Lord. Du bist der Vater und Sati die Mutter des Universums, und wir alle, Vishnu, Brahma und wir sind nur deine Sklaven. Geheimnisvoll ist deine Form, oh Herr, geheimnisvoll dein himmlisches Spiel. Deine Illusion ist rätselhaft und allumfassend. Jeder und jedes wird davon getäuscht, oh Herr.

So flehten die furchtsam bebenden Götter, und auch Daksha befürchtete das Schlimmste und rannte mit erhobener Hand zu Shiva. Er schrie:
Tu es nicht! Tu es nicht!

Beim Anblick des erregten Daksha direkt vor ihm rief sich Shiva erneut sein Versprechen an Vishnu in den Sinn. Und er blieb standhaft mit diesen, unheilverkündenden Worten:
Oh Ahnherr Daksha, was von meinem vorzüglichen Anhänger Vishnu erbeten und von mir gewährt wurde, muß getan werden. Vishnus Worte waren: „Wer nur wollüstig auf Sati schaut, soll von dir vernichtet werden.“ Und ich werde seiner Bitte nachkommen und Brahma töten. Warum starrte er lustvoll auf Sati, die Mutter des Universums? Und außerdem war es eine Sünde, seinen Samen fallen zu lassen. Darum werde ich ihn vernichten.

Bei dieser zornigen Rede Shivas zitterten alle Wesen, und ein mitleidiger Schrei der Angst erhob sich. Eine große Ungewißheit machte sich breit. Und ich, der ich Ihn einst täuschen wollte, war selbst getäuscht. Plötzlich erschien der kluge Vishnu vor Shiva, verbeugte sich tief und pries Shiva, wie er es zuvor getan hatte. Er war so erfahren darin, die Dinge am Laufen zu halten, und bat den Herrn:

Oh Shiva, du Großer und Gütiger, töte Brahma nicht, den Schöpfer der Welten. Er hat Zuflucht bei dir gesucht, und du bist berühmt dafür, immer den Zufluchtsuchenden zu helfen. Oh Lord, ich bin dir lieb, und man nennt mich den Besten aller deiner Anhänger. Erinnere dich an meine Hingabe und sei mir gnädig geneigt. Oh Herr, höre mich erneut an, denn es ist wichtig und bedeutend. Sei wohlwollend mit mir und prüfe meine Worte. Oh Shiva, der viergesichtige Gott hat sich manifestiert, um deine Anhänger zu erschaffen. Denn wir drei führen unsere Aufgaben von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung auf dein Gebot hin aus. Doch wenn Brahma getötet wird, wer wird dann deinem Gebot folgen und erschaffen? Obwohl du der Vernichter bist, solltest du den Schöpfer nicht vernichten. Oh Herr, bedenke auch, er war es, der es arrangiert hat, daß Sati, die Tochter von Daksha, deine Gattin wird.

Doch Shiva antwortete fest entschlossen, so daß jeder es hören konnte:
Oh Vishnu, Herr der Götter und mir so lieb wie die Luft zum Leben, halte mich nicht davon ab, diesen Schurken zu töten. Ich sollte die erste Bitte erfüllen, die ich von dir akzeptierte. Der Viergesichtige hat eine große Sünde begangen. Entweder werde ich selbst alles Weitere erschaffen oder mit meiner strahlenden Macht einen neuen Schöpfer ins Leben rufen. Ja, ich werde diesen Brahma hier töten und einen neuen Schöpfer einsetzen, damit ich mein gegebenes Wort einhalte. Halte mich nicht davon ab.

Doch lächelnd sprach Vishnu immer weiter:
Oh bitte, tu es nicht. Es ist wahrlich angemessen für dich, du edles Wesen, dein Versprechen einzuhalten. Doch bedenke, mein Herr, der Wunsch zu vernichten, sollte nicht gegen sich selbst gerichtet werden. Wir Drei sind dein Selbst, oh Shiva. Wir sind gleich und von derselben Erscheinung. Denk darüber nach.

Sein ganz eigenes Ziel verfolgend fragte da Shiva:
Oh Vishnu, du großer Verehrer, wie kann Brahma mein eigenes Selbst sein? So wie er jetzt vor mir steht, erkennt man ihn als recht unterschiedlich zu mir.

Und Vishnu gab die besänftigende Antwort:
Oh Sadashiva, Brahma unterscheidet sich nicht von dir und du nicht von ihm. Ich unterscheide mich nicht von dir, großer Herr, und du dich nicht von mir. Oh Allwissender, großer Sadashiva, du erkennst alles. Doch du möchtest, daß alle hier es noch einmal aus meinem Munde vernehmen. Ich erkläre es, oh Shiva, auf dein Bitten hin. Mögen es alle Götter, Weisen und lebenden Wesen immer in ihrem Geist bewahren. Oh Herr, der du manifest und unmanifest bist, teilbar und unteilbar, formhaft und formlos - wir drei sind Teile von dir. Wer bist du? Wer bin ich? Wer ist Brahma? Wir sind drei Formen von dir, der höchsten Seele. Wir unterscheiden uns nur darin, daß ein jeder die Ursache von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung ist. Überdenke dein Selbst durch dein Selbst. Oh Göttlicher, du hast zwar einen Körper angenommen, doch du bist das reine, eigenschaftslose Brahman. Während wir drei Formen mit Eigenschaften und drei Teile von dir sind. Oh Rudra, wie ein Körper verschiedene Teile hat und aus Kopf, Rumpf und Gliedern besteht, so sind wir drei Teile von Shiva. Oh Shiva, du bist das höchst Strahlende in deinem eigenen Bereich. Du bist das urerste Wesen, unbeweglich, unmanifest, grenzenlos, ewig und ohne Eigenschaften. Aus dir erhebt sich alles.

Nach diesen Worten war Shiva sehr zufrieden, und er tötete mich nicht.


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