Pushpak Shiva-Purana Buch 4Zurück WeiterNews

Kapitel 10 - Dialog zwischen Brahma und Vishnu

Narada sprach:
Oh Brahma, du Glücklicher, du hast dich von den Früchten deiner Taten befreit, denn als gesegneter Anhänger von Shiva ist dein Geist immer in Ihm gegründet. Du erzählst mir so heilsame Geschichten über die Große Seele. Doch fahre fort. Was geschah danach, als Kama und die anderen in ihre Einsiedeleien gegangen waren? Welche Schritte unternahmst du als nächstes? Bitte, erzähl mir das sogleich.

Brahma antwortete:
Nun Narada, dann höre die liebliche Geschichte über den mondsichelbekränzten Gott, welche einen Menschen durch bloßes Zuhören von Alter und Verfall befreit. Ich werde dir alle Einzelheiten berichten. Oh Narada, mein Hochmut war zermalmt, als mein Begehren unerfüllt blieb. Statt dessen füllte Verwunderung mein geplagtes und unzufriedenes Herz. Wie könnte Shiva sich eine Frau nehmen, dieser alterslose, große Yogi, der sich selbst besiegt hatte? Über diesem Gedanken brütend, klagte ich laut. Die Sorge ließ mich allen Stolz ablegen, und ich erinnerte mich wieder an Vishnu, dieser Ursache meiner Existenz. Ich pries Vishnu, der dem Shiva gleicht, mit verheißungsvollen Hymnen vermischt mit Klagen über meine mißliche Lage, und der Herr erschien sofort vor mir. Er hielt die Muschel, den Lotus und die Keule, trug seine strahlende, gelbe Robe, zeigte seine vier Arme, die dunkle Haut und die Lotusaugen und war die geliebte Zuflucht seiner Verehrer. Ich pries ihn wieder und wieder, wobei meine Stimme von tränenerfüllten Seufzern ganz erstickt war. Ja, er war auch für mich die einzige Zuflucht.

Erfreut über mein Lob sprach Vishnu zu mir Hilfesuchendem:
Oh kluger Brahma, du bist der gesegnete Schöpfer der Welt. Warum hast du an mich gedacht? Warum singst du mein Loblied? Welch Elend hat dich befallen? Sag es mir. Ich werde es ganz und gar ausmerzen. Zweifle nicht daran.

Erleichterung ließ mich noch einmal seufzen, und ich erhob mein Haupt. Mit gefalteten Händen und voller Ehrfurcht sprach ich zu Vishnu:
Oh Herr der Lakshmi, Herr der Götter, bitte höre meine Geschichte an, du Verleiher von Ehren. Und habe Mitgefühl mit mir, zerstreue meine Sorgen und mach mich wieder froh. Oh Vishnu, ich sandte Kama, die Maras, den Frühling und Rati, damit sie Rudra verzaubern mögen. Sie versuchten jegliches Mittel, doch vergebens. Der vollkommen Gleichmütige ließ sich nicht beeinflussen.

Der allwissende Vishnu, der um jede Shiva-Verehrung wußte, war recht erstaunt und erkundigte sich bei mir:
Oh Brahma, wie kam nur so eine Idee in deinen Geist? Sei vernünftig und erkläre mir die Wahrheit ganz genau.

So erklärte ich es ihm:
Lieber Herr, höre die Geschichte. Dein Zauber ist äußerst zwingend. Die ganze Welt unterliegt ihm, und Glück und Elend kommen daraus gleichermaßen. Unter seinem Einfluß entschloß ich mich zur Sünde. Bitte hör mir zu, denn auf dein Bitten erzähle ich es so genau. Zu Beginn der Schöpfung gebar ich viele Söhne und eine schöne Tochter aus meiner Rede. Mein Sohn Dharma entstand aus meinem Herzen und Kama aus verschiedenen Gliedern meines Körpers. Und als ich meine schöne Tochter betrachtete, oh Vishnu, da war ich gefesselt. Mein Blick auf sie war verzerrt, denn deine Illusion blendete mich. Sogleich erschien Rudra und tadelte mich und meine Söhne hart. Als einziger und großer Herr mit dem höchsten Wissen und als vollkommener Yogi der Sinneszügelung kritisierte er uns scharf. Doch es schmerzte mich zutiefst, daß er als Manifestation eines Sohnes von mir mich von Angesicht zu Angesicht und vor allen anderen tadelte. Nun habe ich es dir gebeichtet. Doch wenn er auch eine Frau begehren würde, wäre ich wieder froh und würde alle Kränkung vergessen. Darum, oh Vishnu, flehe ich dich um Hilfe an.

Vishnu lachte bei meinen Worten, und seine Antwort stimmte mich sofort wieder froh:
Oh Brahma, höre genau auf meine Worte. Ich werde deinen Ärger ausradieren. Und meine Rede wird mit den Veden und ihren Zweigen und der Wahrhaftigkeit konform gehen. Ach Brahma, wie konnte es nur geschehen, daß sich dein Geist dermaßen verwirrte. Es ist für den Schöpfer des Universums und Sprecher der Veden völlig unangemessen, so hinterhältig zu sein. Sei nicht so begriffsstutzig und träge im Geist. Suhle dich nicht länger in närrischen Gedanken. Was ist es, was die Veden mithilfe ihrer Hymnen sagen? Erinnere dich jetzt daran und zwar mit einem reinen Geist. Es ist töricht von dir zu denken, Rudra sei dein Sohn. Du hast wohl die Veden und das wahre Wissen vergessen. Wenn du Shiva auf eine Stufe mit den anderen Göttern stellst, dann zeigst du einen kleinen Geist, der dich böse werden läßt. Schon sind deine guten Absichten verschwunden, und Unheil hat sich statt dessen eingeschlichen.

Höre das erste Prinzip, das einst gelehrt wurde. Pflege ein reines Gewissen. Es ist das eine, wahre Wesen, welches als Ursache für alle Schöpfung gepriesen wird. Das ist eindeutig. Shiva ist der Schöpfer von allem, der Erhalter und Vernichter. Er ist größer als das Größte. Er ist das höchste Brahman, der größte Herr, ohne Eigenschaften und ewig. Man kann ihn nicht definieren. Er unterliegt weder Veränderung noch Verfall. Er ist die höchste Seele, unbeweglich und endlos, eine zweite gibt es nicht. Er ist die Ursache für alle Auflösung und alles durchdringend. Im Namen Brahmas, Vishnus und Rudras nimmt er die drei Eigenschaften an und wird zur Ursache für Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung. Doch tatsächlich ist er jenseits der drei Eigenschaften von Leidenschaft, Trägheit und Güte. Er unterliegt keiner Illusion und ist frei vom Begehren. Und gleichzeitig ist er der Schöpfer von Illusion, doch ihn beeinflußt sie nicht. Darum ist er der Meister. Er ist glückselig in sich selbst. Er ist ohne Verdacht und Ersatz. Er ruht in seiner eigenen Seele. Er ist frei von Gegensätzen wie Glück und Unglück. Seinen Anhängern dient er in einem subtilen Körper. Und er ist ein Yogi, der immer der Praxis des Yoga zugetan ist. Damit ist er derjenige, der alle auf dem Yoga Pfad führt. Er ist der Herr der Welten und der Vernichter von Hochmut. Mit den Leidenden hat er Mitgefühl. Ja, so ist der Herr, unser Meister, den du als deinen Sohn betrachtest!

Wirf diesen Wahn endlich ab. Such Zuflucht in Ihm. Ehre Ihn wahrhaftig. Wenn Er zufrieden ist, wird Er dir alles gewähren, was heilsam und nützlich ist. Wenn der Gedanke in deinem Herz wütet, daß Shiva eine Frau haben sollte, dann übe Buße und widme sie Shiva. Denke an Shiva, meditiere über Shiva, preise Shiva mit deinem Wunsch im Herzen. Ist die Göttin in Shiva zufrieden, gewährt sie alles. Und wenn die Gottheit dann auf Erden eine weibliche Gestalt annimmt, dann wird sie gewiß seine Gattin werden. Oh Brahma, bitte Daksha, hingebungsvolle Entsagung zu üben, damit diese Frau als seine Tochter in die Welt kommt. Mein Lieber, beide Aspekte Shivas, der männliche und der weibliche, dienen ihren Verehrern. Sie beide sind das höchste Brahman, und wenn sie es wünschen, nehmen sie jeder einen Körper mit Eigenschaften an.

Für einen Augenblick hielt Vishnu inne, gedachte Shiva, seines Herrn, und dank dessen Gunst sprach er mit wahrem Wissen erneut zu mir:
Oh Brahma, erinnere dich wieder an die Worte, die Shiva zu uns sprach, als wir eben entstanden waren und ihn befragten. Du hast wohl alles vergessen. Ja, wahrlich gesegnet ist die Illusion Shivas, die jeden und alles täuscht. Niemand kann sie durchdringen außer Shiva selbst.

Erinnere dich: Als der eigenschaftslose Shiva aus eigenem Willen Eigenschaften annahm, da schuf er erst mich und dann dich in himmlischem Spiele. Es war Lord Shiva, der dir die Aufgabe der Schöpfung zuwies und mir die Aufgabe der Erhaltung der Welt. Und als wir ihn baten, eine erkennbare Gestalt anzunehmen, da lachte er, sprach liebevoll und mit den Augen gen Himmel gerichtet: „Ich werde eine Form annehmen und als Rudra gepriesen werden. Es ist eine vollkommene Manifestation und wert, von euch beiden verehrt zu werden. Er wird eure Wünsche erfüllen. Er wird die Ursache der Vernichtung der Welt sein, der herrschende Gott über die Eigenschaften, der perfekte Yoga-Übende, den niemand übertreffen kann. Alle drei Götter sind meine Formen. Betrachtet Shiva als meine volle Manifestation. Oh meine Söhne, Shiva wird weitere drei Formen annehmen. Die Form Lakshmi wird Vishnus Gemahlin sein, die Form Sarasvati die Gemahlin Brahmas, und die Form Sati die Gemahlin Rudras.“ Dann segnete er uns und verschwand. Wir beugten unsere Häupter, legten die Hände aneinander und begaben uns ebenfalls in unsere eigenen Sphären. Dann waren wir glücklich, denn wir übten unsere Pflichten aus. Zur rechten Zeit erschienen unsere Gattinnen, und Shiva inkarnierte als Rudra auf dem Berg Kailash, seiner Residenz. Oh Brahma, Shiva wird als Sati inkarnieren, doch es gilt, sich für ihre baldige Inkarnation anzustrengen.

Nach diesen Worten segnete mich Vishnu und verschwand. Und ich freute mich sehr, und all mein Neid löste sich in Nichts auf.


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