Pushpak Shiva-Purana Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 15 - Die Manifestation von Rudra

Narada sprach:
O glückseliger Brahma, du Schöpfer, du bist unter allen Göttern gesegnet. Du hast mir diese wunderbare und heilende Geschichte über Shiva erzählt. Ich habe vom himmlischen Ursprung des Lingas gehört, welches alles Elend hier zerstreut. Bitte erkläre mir nun, was danach geschah - die Erhabenheit der Schöpfung der Wesen und besonders die Art und Weise der Schöpfung.

Brahma antwortete:
Deine Fragen sind äußerst angemessen. Und so werde ich dir kurz aufzählen, was geschah, so wie ich es gehört habe. Nachdem Shiva verschwunden war, oh großer Brahmane, da gaben Vishnu und ich mit Freude unsere Gestalten als Schwan und Eber auf und widmeten uns der Schöpfung und Erhaltung der Welten.

Doch Narada unterbrach sogleich:
Oh Brahma, du Weiser, ich habe noch einen großen Zweifel in mir. Bitte, zerstreue ihn für mich. Wie kam es, daß ihr beiden gerade die Gestalten von Eber und Schwan angenommen hattet? Bitte sage mir den Grund dafür.

Da gedachte Brahma erst der Lotusfüße Shivas und antwortete dann dem Narada:
Der Schwan hat die Macht, stetig aufzusteigen. Er kann zwischen real und unreal unterscheiden, gerade wie er Milch von Wasser trennen kann. Der Schwan versteht den Unterschied zwischen Unwissenheit und Verständnis. So nahm ich, Brahma, die Gestalt eines Schwans an. Doch, oh Narada, ich konnte den strahlenden Shiva nicht erkennen und so auch nicht die Macht meines unterscheidenden Verstandes gebrauchen. Denn wie kann wahrhafte Erkenntnis in einem dämmern, der völlig mit gestaltendem Handeln beschäftigt ist? Ja, auch als Schwan gelang es mir nicht, wahrhaft zu erkennen.

Der Eber hat die Macht, stetig hinunterzusteigen. Daher nahm Vishnu, dieser Wanderer des Waldes, die Gestalt eines Ebers an. Gleichzeitig begann er damit einen neuen Schöpfungstag (Kalpa) mit Namen Varaha. Man kann auch sagen, die Varaha Schöpfung begann, als wir beide die Gestalten von Eber und Schwan annahmen.

Oh Narada, dies dazu. Höre nun, du Weiser, über die Art der Schöpfung, und gedenke zuerst der Lotusfüße Shivas. Also, als Shiva verschwunden war, fiel ich, der Große Vater der Welten, in tiefe Meditation, um darüber nachzudenken, wie ich Sein Gebot ausführen könne. Dann verbeugte ich mich vor Shiva, erhielt das Wissen von Vishnu, gelangte zu höchster Glückseligkeit und entschloß mich, mit der Schöpfung zu beginnen. Auch Vishnu verschwand, nachdem er sich vor Shiva verbeugt und mich unterwiesen hatte. Vishnu bekam den Segen von Shiva, verließ das kosmische Ei und nahm seine beständige Heimstatt in Vaikuntha. Da ich die Schöpfung beginnen wollte, rief ich mir Shiva und Vishnu ins Gedächtnis und schuf zuerst das Wasser (aus dem Meer der Ursachen), von dem ich einige Handvoll als Opfergabe darbot. Da erhob sich das kosmische Ei, welches aus den 24 Prinzipien besteht, und eine strahlende, riesige Form entstand, das Universum. Doch als das Universum erschienen war, war die Form(-losigkeit) des Wassers nicht mehr zu erkennen, und es erhob sich Verwirrung in meinem Geist. Da übte ich strenge Buße und meditierte über Vishnu für zwölf Jahre. Und Vishnu erschien mir, berührte mich liebevoll und sprach freudig zu mir.

Vishnu sagte:
Oh Brahma, dank Shivas Gunst kann ich dir alles gewähren. Es gibt nichts, was dir nicht gegeben werden könnte. Ich bin erfreut. Sag mir den Segen, den du wünschst.

Ich, Brahma, erwiderte:
Oh Vishnu, du Glückseliger, von Shiva wurde ich dir anvertraut. Daher ist es recht, wenn ich dich bitte. So übertrage mir, was Er für mich vorgesehen hat. Ehre sei dir. Diese materielle Form des kosmischen Eis besteht aus 24 Prinzipien. Doch es gibt keine Empfindungsfähigkeit (bzw. Leben) darin. Es ist ganz gefühllos. Oh Vishnu, du bist mir erschienen, und ich danke dem Segen Shivas. Übergib diesem kosmischen Ei Sensibilität, die aus Shivas Macht kommt.

Nachdem ich diese Bitte geäußert hatte, folgte der große Vishnu voll und ganz dem Gebot Shivas, nahm eine grenzenlose Gestalt an und trat in das kosmische Ei ein. Mit seinen tausend Häuptern, den tausend Augen und Füßen umschloß er das Ei und berührte die ganze weite Welt. Dabei wurde das Ei empfindungsfähig, denn Vishnu strahlte wie das Große Wesen, der Herr der sieben Welten.

Nun, der fünfgesichtige Shiva hatte sich auf dem schönen Kailash seine alles überragende Heimstatt geschaffen, und auch Vishnus Heimstatt Vaikuntha strahlt über allem. Diese beiden Stätten werden niemals vergehen, selbst wenn das kosmische Ei vernichtet wird. Ich, Brahma, verweile in Satyaloka, du Lieber, denn ich wünschte der Bitte Shivas nachzukommen und zu erschaffen. Und obwohl mein Wunsch nach Schöpfung aufrichtig war, erschienen gleichzeitig die fünf Illusionen vor mir. Sie waren dunkel von Natur und hatten doch Wissen (Verblendung, Anhaftung, Begierde, Zuneigung und Abneigung). Da folgte ich der Bitte Shivas und erschuf mit freudigem und nichtanhaftendem Geist die Hauptschöpfung, welche aus den unbelebten Dingen bestand. Als ich danach die Tiere schuf, hoffte ich, sie würden zur Großen Seele aufstreben, was sie aber nicht taten, denn sie waren dunkel und voller Elend. So meditierte ich weiter, und die himmlischen Wesen nahmen Gestalt an. Sie waren wahrlich zauberhaft, doch nicht voller Streben, und so dachte ich erneut an meinen Herrn. Es erschien also auf Bitten Shivas die menschliche Schöpfung, und sie war voller Streben. Dafür entstanden auch die grobstofflichen Elemente. Diese fünf natürlichen Schöpfungen, die zusammen auch Natur genannt werden, wurden von mir in Bewegung versetzt.

Dazu entfaltete ich, Brahma, drei Arten der geistigen Schöpfung aus der unentfalteten Natur. Das war zuerst Mahat, die universale Intelligenz. Als zweites kamen die subtilen Elemente und dann die Sinnesschöpfung mit Wandel und Wirkung. Zusammen mit den fünf natürlichen Schöpfungen sind das acht Schöpfungen, und die neunte war das Paradies der Kumaras, das sowohl geistig als auch natürlich ist. Jegliche weitere Unterteilung ist mir nicht möglich.

(drei geistige und fünf natürliche Schöpfungen, siehe auch Vishnu Purana 1.5:
1: Mahat, universale Intelligenz
2: subtile Elemente
3: Sinne und Denken
4: grobstoffliche Elemente
5: leblose Materie
6: Tiere und Pflanzen
7: himmlische Wesen
8: Menschen
9: Kumara Paradies)

Zuletzt sollte ich noch die brahmanische Schöpfung erwähnen, welche fast keine Wirkung auf die Weltschöpfung hatte. In ihr entstanden Sanaka und meine anderen, geistgeborenen Söhne als Teil der Kaumara Schöpfung. Sanaka und die anderen Rishis sind fünf an der Zahl (Sana, Sanaka, Sanat, Sanatana, Sujata). Sie gleichen mir ganz und gar, folgen guten Riten und meiden die Anhaftung an die Welt. Gegen mein Gebot fühlen sie keine Neigung, zu handeln und zu erschaffen. Sie kehrten sich ganz von der Welt ab und meditieren nur über Shiva. Oh Narada, sie waren kühn genug, sich mir zu widersetzen, was mich zornig machte und beinahe die Vernunft verlieren ließ. In diesem Zustand des Ärgers fielen zwei Tränen von meinen Augen. Auch nahm ich im Geiste Zuflucht zu Vishnu, der sogleich vor mir erschien und mich erleichterte. Er bat mich, über Shiva zu meditieren und Buße zu üben, was ich tat.

Und während ich Askese im Dienste der Schöpfung übte, kam der gnadenreiche Herr der Dreiheit, Shiva aus dem Punkt zwischen den Augenbrauen und der Nasenwurzel, den man auch Avimukta nennt. Er manifestierte sich als halb Mann und halb Frau. Als ich diesen Strahlenden direkt vor mir erblickte, diesen Herrn der Uma, den Allwissenden, den Ur-Schöpfer und All-Seienden, da fühlte ich höchste Freude und grüßte ihn demütig.

Dann bat ich ihn:
Erschaffe verschiedene lebendige Wesen.

Da erschuf der majestätische Rudra viele Geister, die Ganas, die ihm vollends glichen.

Erneut bat ich da den Herrn aller Herren:
Oh Rudra, erschaffe doch solche Wesen, die vom Feuer der Geburt und des Todes getrieben werden.

Da lächelte der mitfühlende Herr und antwortete mir:
Oh Brahma, ich sollte solche Wesen nicht schaffen, die unter Geburt und Tod leiden. Solche unglückseligen Wesen versinken im Ozean der Pein durch ihre eigenen Taten. In meiner Manifestation als Lehrer sollte ich sie durch vollkommene Erkenntnis aus diesem Ozean erheben. Oh Herr, erschaffe du all die strebsamen und leidenden Wesen, und durch meine Gnade sollst du nicht von dieser Illusion gebunden sein.

Und nach diesen Worten verschwand der glorreiche Shiva mitsamt seinem Gefolge, während ich ihn noch anstarrte.


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