Pushpak Shiva-Purana Buch 3Zurück WeiterNews

Kapitel 7 - Gespräch zwischen Brahma und Vishnu

Brahma fuhr fort:
Während Narayana ruhte, wuchs auf Shivas Wunsch ein riesiger und malerischer Lotus aus Narayanas Nabel. Er war mehrere Yojanas lang und breit, sein Stengel schien endlos zu sein, und das Innere der Blüte schimmerte in besonderem Glanz, welcher die Augen wie Millionen Sonnen blendete. Sein Anblick war wundervoll und jeglicher Sinneseindrücke wert. So schufen mich Shiva und Parvati aus Shivas rechter Körperhälfte mithilfe des Lotus aus Narayanas Nabel. Ich kam sogleich von Shivas Illusion geblendet auf die Welt. Daher nennt man mich auch den Lotusgeborenen, und ich bekam einen goldenen Leib. Ich hatte vier Gesichter, rote Wangen und das Tripundra Zeichen auf meiner Stirn. Doch mein Verständnis war schwach, denn Shivas Illusion hatte sich meiner bemächtigt. Ich wußte nicht, wer meinen Körper geschaffen hatte.

Ich sah nur den Lotus, und fragte mich:
Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist meine Pflicht? Wem wurde ich als Sohn geboren? Wer schuf mich?

Mein Geist war ganz verwirrt von all den Fragen, und ich dachte:
Warum soll ich verwirrt sein? Es ist einfach, Wissen zu erlangen. Ich wuchs in diesem Lotus unter mir, also wird mein Erzeuger in der Nähe sein.

So stieg ich vom Lotus ab, doch der Weg nach unten währte hundert Jahre, und ich fand die Wurzel nicht. In meinem verwirrten Geist wollte ich nun oben, an der Spitze des Lotus weitersuchen. Ich kletterte den Stengel wieder hinauf, doch ich konnte die Blüte nicht mehr erreichen. Völlig verzweifelt kletterte ich für hundert Jahre immer weiter, bis ich einmal innehielt.

Da hörte ich eine glücksverheißende Stimme aus dem Himmel, welche sprach:
Übe Askese.

Das vertrieb meine Verzweiflung. Für zwölf Jahre übte ich strenge Buße, um meinen Schöpfer zu erkennen. Da erschien der vierarmige Lord Vishnu mit den schönen Augen vor mir, um mich zu segnen. Er hielt Muschel, Diskus, Keule und Lotus in seinen Händen, trug ein gelbes Seidengewand, und seine Haut war wolkengleich blau. Auf dem Haupt trug er eine Krone und überall schöne Ornamente. Sein Lotusgesicht strahlte vor Ruhe und Frieden, und mir, dem immer noch Verblendeten, erschien er so herrlich wie zehn Millionen Liebesgötter. Seine schöne Gestalt war mir ein Wunder, und ich fühlte Entzücken bei seinem Anblick - sein goldener Glanz, so strahlend wie Kala, die allem innewohnende Seele in seiner Gestalt, und die langen Arme, welche sowohl Wirkliches als auch Unwirkliches umarmen (Sat und Asat, auch Sein und Nichtsein).

Doch meinen Schöpfer konnte ich in ihm nicht erkennen, und ich fragte ihn freudig erregt:
Wer bist du? Bitte sag es mir.

So versuchte ich, dieses Ewige Wesen aufzuwecken, doch er rührte sich nicht. Wieder und wieder sprach ich ihn an, berührte ihn mit meiner Hand und schüttelte ihn immer heftiger. Und endlich regte sich der selbstgezügelte Herr und erhob sich von seinem Lager. Er setzte sich aufrecht hin und sah mich mit seinen schönen, vom Schlaf noch leicht verschleierten Lotusaugen an. Ich stand schweigend vor ihm, und er breitete seinen Glanz über mir aus.

Dann lächelte er und sprach mit lieben Worten:
Willkommen, sei willkommen, liebes Kind, du strahlender Großer Vater, fürchte dich nicht. Ich werde dir ohne zu zögern alles gewähren, was du wünschst.

Doch seine lieben Worte erregten meinen Trotz, und von Leidenschaft getrieben antwortete ich ihm mit halbem Wissen:
Oh du Makelloser, wie kann es sein, daß du mich so gewöhnlich als „Kind“ ansprichst, wie ein Lehrer seinen Schüler? Mich, der ich die Ursache von allem bin? Ich bin der Schöpfer der Welten, der Ungeborene, direkt von Prakriti abstammende, ewige und alles durchdringende Brahma. Ich wurde von Vishnu geboren, bin die Seele des Universums, Ursprung, Schöpfer und Vernichter mit den Lotusaugen. Du mußt mir schnell erklären, warum du so zu mir sprichst. Die Veden nennen mich den Beständigen, Selbstgeborenen, Ungeborenen, Großen Vater, Selbstgezügelten und das vorzügliche Höchste Wesen.

Nach diesen Worten wurde nun Hari, der Herr von Lakshmi, ärgerlich und antwortete mir:
Ich weiß, daß du der Schöpfer der Welten bist. Zum Wohle der Welten wurdest du aus meinen niemals alternden Gliedern geboren. Du hast mich vergessen, mich, den Herrn des Universums, der in den Wassern ruht, die heilsame, höchste Seele. Ich werde von vielen angerufen, angebetet und verehrt als alldurchdringend, unvergänglich, Herrscher, Quelle und Ursprung des Universums, langarmig und allgegenwärtig. Es gibt keinen Zweifel daran, daß du von dem Lotus stammst, der aus meinen Nabel sproß. Doch es ist nicht deine Schuld, denn ich verhüllte dich mit meiner Macht der Illusion. Oh Viergesichtiger, höre nun die Wahrheit. Ich bin der Herr aller Götter. Ich bin der Schöpfer, Erhalter und Vernichter. Es gibt keinen Mächtigen, der mir gleicht. Oh Großer Vater (Pitamaha), ich bin das höchste Brahman, die größte Wahrheit, das hellste Licht und das große Selbst. Ich bin allgegenwärtig. Was immer heute im ganzen Universum gesehen oder gehört werden kann, lebendig oder nicht, ist von mir umhüllt. Es war ich, der die Prinzipien des Lebens schuf. Ich habe die Elemente gemacht, die Qualitäten wie Zorn, Angst und so weiter. Mächtig und spielerisch schuf ich ihre Teile und Verbindungen, auch den Intellekt und das dreifache Ego darin. Aus mir kommen die feinstofflichen Elemente, das Denken, die Körper- und Sinnesorgane. Nur durch meinen Willen schuf ich alle Wesen. Erkenne dies, oh Brahma mit den vier Gesichtern, du Herr der Menschen, und suche bei mir Zuflucht. Denn ich werde dich vor allem Elend beschützen.

Doch seine Worte machten mich erst recht wütend, denn ich war stolz darauf, Brahma zu sein. Verblendet und daher beleidigend gab ich zurück:
Wer bist du denn? Warum redest du so viel? Deine Worte stiften nur Unheil. Du bist weder ein Herr noch das Höchste Brahman. Es muß einen geben, der dich geschaffen hat.

Und außer mir vor Illusion kämpfte ich mit dem großen Herrn. Feindlich gestimmt stritten wir inmitten dieses weiten Gewässers der großen Auflösung, denn Leidenschaft hatte uns übermannt. Doch plötzlich erschien eine große Säule vor uns, um uns zu erleuchten und unseren Streit zu beenden. Die Erscheinung hatte weder Anfang, Mitte noch Ende, wurde weder größer noch kleiner, und war so heftig und wild wie hunderte Todesfeuer mit tausend lechzenden Flammenringen. Das war unvergleichlich, was wir sahen, unbeschreibbar und nicht faßbar. Lord Vishnu wurde ohnmächtig bei seinem Anblick.

Als auch mir die Sinne zu schwinden drohten, sprach Vishnu zu mir:
Warum kämpfst du eigentlich mit mir? Etwas Drittes ist gekommen. Laß uns unseren Streit beenden. Woraus hat es sich erhoben? Laß uns das Feuerwesen ergründen. Ich gehe nach unten und werde die Wurzel der Feuersäule suchen. Geh du nach oben und untersuche so schnell wie der Wind die Spitze.

Als er dies ausgesprochen hatte, nahm Vishnu die Gestalt eines Ebers und ich die eines Schwans an. Seitdem rufen mich die Menschen auch Hamsa Virat. Und wer hingebungsvoll „Hamsa Hamsa“ singt, wird so rein wie ein Schwan sein. Mit schneeweißem Gefieder und starken Schwingen flog ich nach oben und war so schnell wie ein Gedanke. Auch Narayana, die Seele des Universums, nahm einen weißen Körper an und so riesig wie der Berg Meru, mehrere Yojanas lang und breit. Er hatte blendend weiße Zähne und glänzte wie die Sonne. Er prustete und schnaubte gewaltig, seine Beine waren stämmig, die Schnauze lang, sein Körper eisenhart, und schnell wühlte er sich nach unten, denn er wollte erfolgreich sein. Seither wird Vishnu auch Svetavaraha, weißer Eber, genannt. Für tausend Jahre strebte er nach unten, und nach Menschenmaß verging dabei ein Kalpa. Doch der Eber fand nicht die geringste Spur einer Quelle oder Wurzel dieser seltsamen Feuersäule. Und auch ich konnte in derselben Zeit nicht die Spitze erreichen, obwohl ich mich bis zum Äußersten mühte. Erschöpft mußte ich schließlich wieder nach unten, und auch Lord Vishnu gab müde auf und kehrte nach oben zurück. Als wir wieder beisammen waren, verbeugten wir uns mit verwirrtem Geist.

Wir verbeugten uns vor dem Linga und damit vor Shiva von allen Seiten und sannen:
Was kann das nur sein? Diese Form kann gar nicht beschrieben werden. Das Wesen hat weder Namen noch Werk. Es scheint ein Linga zu sein, doch zeigt keinerlei Geschlecht. Es ist jenseits des Pfades der Meditation.

Nun bemühten wir beide, Hari und ich, uns um Frieden im Geist und wollten das Linga verehren. Wir sprachen:
Wir erkennen nicht Deine wahre Gestalt. Du bist, was du bist, oh großer Herr. Verehrung sei dir, oh Mahesha. Bitte enthülle dich uns.

So beteten wir und verehrten das Wesen für hundert Jahre, um unseren früheren Hochmut zu tilgen.


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