Pushpak Mahanirvana-TantraZurück WeiterNews

Kapitel 2 - Die Lehre des Tantra

Als Shankara, der Ozean des Mitgefühls und Gewährer allen Wohlstandes, diese Rede der Göttin gehört hatte, sprach der ewiggütige Shiva die folgenden, wahrhaften Worte, um der Welt Gutes zu tun:
Oh heilige Göttin, oh Wohltäterin des Universums, höchst vorzüglich war deine Rede. Niemand zuvor hat diese große Frage auf diese Weise gestellt. Gesegnet seist du, denn du kennst die Wege des heilsamen Handelns und wünschst, den Wesen im Kali-Zeitalter Gutes zu tun. Oh schöne Dame, alles, was du gesprochen hast, ist wahr. Oh höchster Geist, du bist allwissend, schaust die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und kennst das Dharma. Was du über die vier Zeitalter (Yugas) gesprochen hast, entspricht dem Dharma, ist wahrhaft, angemessen und gerecht. Oh große Göttin, unter der Last der Ungerechtigkeit im Kali-Zeitalter können weder die Zweifachgeborenen noch die anderen Kasten zwischen rein und unrein unterscheiden und auf den Wegen der Veden, Gesetzesbücher und Geschichten die große Reinheit des Geistes erreichen. So bestätige ich dir, oh Gesegnete, daß es in diesem Zeitalter keinen besseren Weg zur Befreiung gibt, als die Lehre des Tantra. Oh meine Göttin, ich habe es in den Veden, Gesetzesbüchern und Geschichten (Srutis, Smritis und Puranas) bereits vorausgesagt, daß der Weise im Kali-Zeitalter die Gottheit entsprechend der Tantra-Lehre verehren soll. Wahrlich, es gibt in dieser dunklen Zeit keinen besseren Weg zur Erlösung, als diesen. In allen heiligen Texten bin ich es allein, der als Herr des Universums beschrieben wird. Sie alle betrachten mich als das Heil der drei Welten. Wer diesen Weg verneint, verneint die Gottheit, und gleicht einem Sünder, der ungeborenes Leben tötet. All seine Werke, oh Göttin, werden im Nichts vergehen, und er selbst geht den Weg in die Hölle. Der Unwissende, der mich (den großen Geist) verneint und sich auf anderes stützt, sammelt zweifellos die Sünde an, Brahmanen, Eltern und Frauen zu töten (im symbolischen Sinne).

Im Kali-Zeitalter sind vor allem die Tantra-Mantras wirksam und führen schnell zum Erfolg, sei es in den Opfern, Rezitationen und anderen Riten. Die Mantras der Veden haben ihre Kraft verloren und gleichen Schlangen ohne Giftzähne. Im goldenen Krita und den folgenden Zeitaltern waren sie mächtig, aber im Kali sind sie so gut wie tot. Sie gleichen den Sinnesorganen eines gemalten Bildes oder der Begattung einer unfruchtbaren Frau. Wer in diesem Zeitalter auf anderen Wegen die Befreiung sucht, gleicht einem Durstigen, der am Ufer der Ganga einen Brunnen gräbt. Wer den von mir verkündeten Dharma ablehnt und anderes begehrt, verwirft den Nektar der Unsterblichkeit in seinem eigenen Haus und greift nach dem Gift der (verführerischen) Arka-Pflanze. Kein anderer Weg zur Befreiung wie auch zum Wohlergehen in dieser und der jenseitigen Welt gleicht dem Tantra. Doch angesichts der großen Unwissenheit im Kali-Zeitalter habe ich den Praktizierenden eine gewisse Geheimhaltung in der Ausübung außergewöhnlicher Riten bestimmt, während andere Methoden offenbart werden sollten, um das Interesse der Menschen zu wecken. Entsprechend den menschlichen Neigungen erschuf ich viele verschiedene Verehrer von diversen Göttern und Göttinnen und nannte sie zum Beispiel die Bhairavas, Vetalas, Vatukas, Nayikas, Shaktas, Shaivas, Vaishnavas, Sauras und Ganapatyas, und zur Hilfe gab ich ihnen verschiedene Mantras und Yantras (Gebete und Bilder). Ein jeder dieser Wege erfordert große und beständige Bemühung und kann zum höchsten Ziel führen. Oh Geliebte, damit habe ich ihnen meine Antwort entsprechend ihrer Natur und individuellen Bedürftigkeit gegeben.

Oh Parvati, niemand hat mich je zuvor auf diese Weise in Hinblick auf das Dharma der vier unterschiedlichen Zeitalter befragt, wie du es zum Wohlergehen aller Geschöpfe getan hast. So will ich aus Zuneigung zu dir über die wahre Essenz der Schöpfung und das Höchste Wesen sprechen. Oh große Göttin, ich werde dir die Essenz aller Veden und im Besonderen der verschiedenen Wege des Tantras aufzeigen. Wie die Kenner des Tantra unter allen Menschen, die Ganga unter allen Flüssen und ich selbst unter allen Göttern, so ist dieses Mahanirvana-Tantra unter allen Tantras. Welchen Nutzen haben die Veden, Gesetzestexte und Geschichten (für einen wahrhaften Tantriker)? Wer die Erkenntnis durch das große Tantra erreicht, wird zum Meister jeden Erfolgs. Weil du mich um das Wohlergehen aller Welten gebeten hast, werde ich dir offenbaren, was zum Wohl der Welten ist. (Das Wort „Tantra“ bedeutet soviel wie Gewebe, Kontinuum oder Zusammenhang. Es ist kurzgesagt die Lehre, wie man im Kali-Zeitalter die Einheit des Geistes auch in der Verbundenheit der Natur und im Sinnlich-Körperlichen verwirklichen kann.)

Oh höchste Göttin, möge dem Universum Gutes geschehen und der Herr zufrieden sein, der die Seele von allem ist und von dem alles abhängt. Er ist der Eine ohne einen Zweiten, der Ewigseiende und die Wahrheit selbst. Er ist der ewig Vollkommene und Selbstexistente. Er ist der unvergängliche Geist und die höchste Seligkeit. Er ist der Unwandelbare, Selbstseiende, Immergleiche und Stille jenseits aller Eigenschaften. Er ist das reine Bewußtsein und der ewige Zeuge aller Geschehnisse, der Alldurchdringende und die Seele aller Wesen. So ist er als der Ewige und Allseiende in jedem Geschöpf verborgen. Er ist das Licht jeder Sinneswahrnehmung und aller Eigenschaften, doch selbst frei von allen Sinnen. Er ist jenseits aller Welten, doch läßt sie entstehen. Er ist jenseits aller Gedanken, doch bringt sie hervor. Er kennt alles, doch ihn kennt niemand. Er trägt das ganze Universum der belebten und unbelebten Geschöpfe, und alle Welten hängen von ihm ab. Er erleuchtet die ganze Welt mit seiner Wahrheit, als wäre sie selbst die Wahrheit. Auch ich und du sind aus ihm entstanden. Er ist der einzig Höchste Herr, und durch seine Schöpferkraft kommen alle Geschöpfe in die Welt. Er ist das Brahman und unter den Menschen als der Schöpfergott Brahma bekannt. Durch seinen Willen wurde Vishnu zum Erhalter, ich selbst zum Zerstörer, und alle Schutzgötter mit Indra an der Spitze stehen unter seinem Befehl. Jeder von ihnen herrscht in seinem jeweiligen Bereich, um dir zu dienen, oh Göttin, denn du wirst als Urgrund der Natur in allen drei Welten verehrt. Jedes Wesen handelt durch die Kraft von ihm, der überall im Inneren wohnt. Es gibt nichts, was von ihm in irgendeiner Weise unabhängig wäre. Alle Götter und Göttinnen sind allein von diesem Höchsten Wesen durchdrungen. Durch seine Macht weht der Wind, strahlt die Sonne, regnen die Wolken und blühen die Bäume in den Wäldern. Er ist es, der zur universalen Auflösung sogar die Zeit vernichtet, und selbst den Tod und die Angst regiert. Er ist die ewige Gottheit, die in den Veden und Upanishaden als „Das bist Du“ (Tat tvam asi) bezeichnet wird.

Oh verehrte Göttin, alle Geschöpfe, das ganze Universum von Brahma bis zum kleinsten Grashalm sind Formen von Ihm. Wenn Er zufrieden ist, ist das ganze Universum zufrieden. Wer Ihn verehrt, verehrt alles. Wie man durch das Wässern der Wurzel den ganzen Baum mit allen Zweigen und Blättern erfreut, so erfreut man durch seine Verehrung alle Unsterblichen. Und wer dich durch Meditation und Rezitation deiner Namen und Mantras erfreut, der erfreut alle Göttinnen und die höchste Gottheit selbst. Oh Parvati, wie alle Flüsse zum Ozean fließen, so fließen alle verehrungsvollen Taten zu Ihm, dem Höchsten. Wer auch immer irgendeinen Gott verehrt, um etwas zu gewinnen, am Ende ist Er es, der jeden Segen gewährt und alles gibt. Oh geliebte Göttin, was wäre noch mehr zu sagen? Es gibt niemand anderen, den man durch Meditation und Gebet verehrt, um die Befreiung zu erreichen. Nur das höchste Wesen kann sie gewähren. Denn wer könnte durch Anstrengung, Fasten, Askese, Gelübde, große Opfer, bestimmte Orte oder Zeiten, Yoga oder Mantras die Befreiung erzwingen, ohne bei Ihm Zuflucht zu suchen?


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