Pushpak HarivamshaZurück WeiterNews

1.52. Versammlung der Götter und Klage der Erde

Vaisampayana sprach:
Der Herr mit der dunklen Farbe von Gewitterwolken und der Stimme so tief wie ihr Donnern sprach „So sei es!“ und begleitete die Götter wie ein von Wolken verhüllter Berg. Zu jener Zeit erschien Hari als dunkelblaue Person mit verfilzten Haaren und mit Krone, Juwelen und Perlen geschmückt. Er glich dem Mond, wenn er von Wolken umringt wird. Seine breite, behaarte Brust erstrahlte mit dem mystischen Srivatsa (Endlosknoten). In seine gelben Gewänder gehüllt erschien der ewige Hari, der Führer der Welten, wie ein Berg, der von leuchtenden Abendwolken bedeckt ist. Wie er auf dem Rücken von Garuda dahinflog, richteten die Götter mit dem lotusgeborenen Brahma ihre Augen auf ihn und folgten seinem Weg. So erreichten sie in kürzester Zeit das Juwel aller Berge und erblickten die Versammlungshalle der Götter, die nach ihrem Herzen erbaut wurde und jede Form annehmen kann. Sie stand auf dem Gipfel des Meru und war so strahlend wie die Sonne. Ihre Säulen waren aus Gold und ihre Eingänge mit Diamanten geschmückt. Sie enthielt vielfältige Bilder sowie hunderte Fahrzeuge, weil sie aus Gedanken geschaffen wurde. Ihre Fenster waren aus Kristallgittern, sie konnte sich überall hinbewegen und war mit schönsten Ornamenten verziert. In ihr sah man alle Sorten von Juwelen und Blumen jeder Jahreszeit. Diese göttliche Versammlungshalle wurde von Visvakarma, dem himmlischen Architekten, gebaut und wird von Maya, der himmlischen Illusion, getragen. In dieser vorzüglichen Halle nahmen alle Götter mit heiterem Geist auf den ihn gebührenden Sitzen Platz. Einige saßen auf himmlischen Wagen, andere auf herrlichen Thronen, vorzüglichen Diwanen oder heiligem Gras. Auf ein Zeichen von Brahma hin begann der Wind Prabhanjana, durch die ganze Halle zu wehen und sorgte für Ruhe. Und nachdem die Versammlung der Götter still war und regungslos verharrte, ergriff die Göttin Erde mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen das Wort.

Die Erde sprach:
Oh Gott, rette mich vor dem Untergang! Von dir wird das ganze Universum erhalten. Du beschützt die Geschöpfe und die drei Welten. Was auch immer du ernährst durch deine Energie und Kraft, das trage ich durch deine Gnade. Was auch immer du erhältst, das halte ich, und was du nicht erhältst, das kann auch ich nicht halten. Oh Narayana, immer wenn die Zeit gekommen ist, erleichterst du meine Last zum Wohle der Welt. Durch deine Energie wurde ich aus dem Wasser gehoben. Oh Erster der Götter, ich bin allein in deiner Macht und bedarf deiner Gnade. Bitte rette mich! Ich werde von übelgesinnten Dämonen und Rakshasas gequält. Du bist mein ewiger Retter, und stets bedarf ich deiner Gnade. Ich habe es hundertmal erfahren, solange ich keine Zuflucht bei Narayana suche, der mich von allen Lasten befreit, solange bin ich unter dem Einfluß schwerer Angst. Bevor Landwirtschaft, Handel und andere Mittel des Lebenserwerbs vom lotusgeborenen Brahma geschaffen wurden, wurde ich verborgen gehalten (im Wasser), gebunden durch zwei große Dämonen, die Narayana aus der Erde (bzw. dem „Festen“) geformt hatte. Denn während der hochbeseelte Vishnu inmitten unergründlicher Tiefen schlief, entstanden sie aus seinem Ohrschmalz und verweilten wie zwei Holzklötzer. Erst als Brahma, der Große Vater, den Wind geschaffen hatte, trat er in Form von Lebensatem in die beiden Dämonen ein. Daraufhin wuchsen sie und bedeckten bald den ganzen Himmel. Doch Brahma berührte sie auf verschiedene Weise, als sie ihren Lebensatem empfingen, und so erschien der eine weich und der andere hart. Danach gab ihnen der lotusgeborenen Brahma Namen. Den weichen nannte er Madhu und den harten Kaithabha. Als die beiden Dämonen einen eigenen Namen hatten, begannen sie, voller Stolz auf ihre Kraft furchtlos durch die Welt zu wandern, die damals noch ein Meer aus Wasser war, und suchten den Kampf. Als Brahma, der Große Vater von allen, sie auf sich zukommen sah, verschwand er im Wasser des universalen Meeres. Der viergesichtige Schöpfergott wünschte verborgen in jenem Lotus zu leben, der aus dem Nabel von Vishnu gewachsen war. So ruhten Vishnu und Brahma viele lange Jahre im Wasser und bewegten sich nicht. Doch nach langer Zeit kamen die beiden Dämonen namens Madhu und Kaithabha auch zu jenem Ort, wo Brahma ruhte. Als Brahma diese beiden schrecklichen und kampfeslustigen Dämonen mit riesigen Körpern sah, weckte er durch den Stiel der Lotusblume Narayana. Daraufhin erhob sich der höchst strahlende Gott von seinem Ruhebett. Zu jener Zeit waren die drei Welten noch ganz vom Wasser bedeckt, und alles war ein endloses Meer, in dem nun ein gewaltiger Kampf zwischen Vishnu und den Dämonen Madhu und Kaithabha stattfand. Dieser schreckliche Kampf dauerte tausend Jahre, und die beiden Dämonen erfuhren nicht die kleinste Erschöpfung. Nach dieser langen Zeit des wilden Kämpfens sprachen die Dämonen in ihrer Euphorie zu Narayana:
Wir sind höchst zufrieden über diesen Kampf mit dir. Von dir geschlagen zu werden, wäre wirklich eine Ehre. So töte uns an einem Ort, wo die Erde (das Feste) nicht im Wasser versunken ist. Oh Erster der Götter, hast du uns geschlagen, werden wir deine Söhne sein. Denn uns ist es bestimmt, dessen Sohn zu werden, der uns im Kampf besiegt.

Da ergriff Vishnu die beiden Dämonen mit seinen Händen und zerdrückte sie in der Faust. Auf diese Weise fanden Madhu und Kaithabha ihren Tod in den Händen des Herrn. Beide wurden sogleich vom Wasser erfaßt und ihre beiden Körper vereint. Gequirlt von den Wellen des Wassers begannen sie, ihr Knochenmark (ihr Festes) abzugeben. Und wo sich das Mark sammelte, dort verschwand das Wasser. Oh Sündloser, so setzte Narayana, der Herr, das Werk der Schöpfung fort. Und weil ich aus dem Mark (Sanskrit „Medas“) der Dämonen Madhu und Kaithabha entstanden bin, werde ich auch Medini genannt. So wurde ich durch die Gnade des Gottes mit dem Lotus-Nabel zum festen Stand der Welt. Später nahm der Herr in Gegenwart von Markandeya die Form eines Ebers an und hob mich mit seinen Hauern aus dem Wasser. Danach wurde ich vor euren Augen vom mächtigen Vishnu (in Gestalt eines Zwerges) mit einem Schritt aus der Herrschaft des Dämonenkönigs Vali befreit. Nun werde ich erneut schwer bedrückt und finde keine andere Hilfe als die Zuflucht beim Herrn des Universums, der seinen Verehrern stets geneigt ist. Wie Agni die Stütze des Goldes und die Sonne die Stütze der Sterne ist, so ist Narayana meine Stütze. Doch ich kann die Welt mit den belebten und unbelebten Geschöpfen nur tragen, soweit sie auch von Narayana getragen wird. Um meine Last zu erleichtern, vernichtete Parasurama, der Sohn von Jamadagni, in seinem Zorn einundzwanzig Mal die ganze Kshatriya Kaste. Durch seinen Sieg befreite mich der Nachkomme des Bhrigu, bezahlte mit dem Blut der Krieger im Totenopfer die Schuld vor seinem Vater und übergab mich als Geschenk an Kasyapa. So erschien ich von Blut besudelt mit dem üblen Geruch von Fett, Fleisch und Mark vor Kasyapa wie eine junge Frau während ihrer Menstruation. Da sprach der brahmanische Heilige zu mir:
Oh Göttin Erde, warum bist du so bedrückt? Warum folgst du als Frau von Helden den Gelübden der Trauer?

Darauf antwortete ich Kasyapa, dem Stammvater der Welt:
Oh Brahmane, der mächtige Parasurama hat all meine Männer getötet. Ich habe all jene kraftvollen Kshatriyas verloren, die von ihrer Waffenkunst lebten, bin nun Witwe geworden und kann die vielen leeren Städte kaum ertragen. Deshalb gewähre mir, oh Verehrter, einen mächtigen König, der mich beschützen kann mit all den Dörfern und Städten bis zu den Ozeanen.

Als der Heilige meine Worte hörte, sprach er „So sei es!“ und gab mir Manu (Vaivaswata) als Herrscher der Menschen. So wurde ich vom Stamm des Ikshvaku, der ein Sohn von Manu war, durch eine lange Reihe mächtiger Könige beschützt und regiert. Nachdem ich dem intelligenten Manu, dem Herrscher der Menschen, übergeben wurde, regierten viele königliche Weise über mich. Zahllose heroische Kshatriyas sind in die himmlischen Bereiche aufgestiegen, nachdem sie mich erobert hatten, und (ihre irdischen Körper) haben sich unter dem Einfluß der Zeit in mir (der Erde) aufgelöst. Zahllos waren die Kämpfe um mich, und zahllos sind die mächtigen Kshatriyas, die noch heute um mich kämpfen und dem Kampf nie entfliehen. Das ist der Lauf des Schicksals, das von dir bewegt wird. Wenn du Mitgefühl für mich hast und meine Last erleichtern möchtest, dann sorge dafür, daß sich die angestaute Übermacht der Könige zum Wohle der Welt im Kampf erschöpfen kann. Möge mich der herrliche Träger des feuergleichen Diskus als alleinige Zuflucht beschützen. Möge Narayana mir helfen, meine bedrückende Last zu erleichtern. Ich bin ganz in seiner Macht. Möge er mich retten, wenn er meint, daß es gut ist.


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